Das Haus in Georgetown
Hause, um die Vorbereitungen zu beaufsichtigen.“ Lydias Blick fiel auf die Hecke, die die Grenze zwischen Dottie Lees Garten und Faith’ Grundstück bildete. Dottie Lee tauchte gerade aus ihrem Haus auf. „Da ist diese Frau. Höchste Zeit zu gehen.“
„Früher wart ihr Freundinnen.“
„Bleib hier und rede mit ihr, wenn du willst.“ Lydia küsste Faith auf die Wange. „Ich freue mich darauf, diesen Garten wieder blühen zu sehen.“ Sie marschierte auf die Kellertreppe zu.
Faith schlenderte zur Hecke hinüber, als Dottie Lee ihr zuwinkte, und trat durch die Lücke in den Nachbargarten. Hier wirkte alles gepflegt und dezent. Es gab dichte immergrüne Pflanzen, künstlerisch angelegte Kiespfade und ein schmales, erhöhtes, rechteckiges Becken, das von Lilienbüscheln umrahmt wurde.Außerdem stand dort auch noch eine Steinskulptur, die ein kleines Mädchen darstellte, das sich über das Wasser beugt, um sein Spiegelbild zu bewundern.
„Das bin ich, erkennen Sie mich?“ sagte Dottie Lee und zeigte auf das Mädchen. „Mein Vater hat sie in Auftrag gegeben, als ich drei war.“
„Sie ist mir noch gar nicht aufgefallen.“ Faith war nicht zum ersten Mal in Dottie Lees Garten, aber bisher hatten sie immer über andere Dinge gesprochen.
„Was für ein Anachronismus ich doch bin: verbringe mein ganzes Leben im selben Haus. Lasse die Welt zu mir kommen.“ Dottie Lee klang dabei keineswegs unzufrieden.
„Haben Sie je woanders wohnen wollen?“
„Ach, einmal vielleicht. Ich bildete mir ein, jemanden zu lieben, und zog in Erwägung, ihm nötigenfalls bis ans Ende der Welt zu folgen.“
„Aber Sie haben es nicht getan?“
„Es gab ein kleines Problem: seine Frau.“
„Ich weiß nie, wann Sie es ernst meinen.“
„Ich meine es immer ernst.“ Dottie Lee ließ sich auf einer Bank nieder, von der man auf die riesigen Rhododendren blicken konnte, und machte eine einladende Geste. „Ich habe mitbekommen, dass Ihre Mutter da war.“
„Sie musste leider gerade gehen.“
„Meine Liebe, Ihre Mutter hat seit Jahren kein Wort mehr mit mir gewechselt. Sie hat Angst, dass ich zu viel weiß.“
Faith’ Herzschlag beschleunigte sich. „Und was wissen Sie?“
„Das habe ich Ihnen doch schon gesagt.“
„Nicht genau. Sie haben nur angedeutet, dass Sie von etwas Kenntnis haben, das die Laufbahn meines Vaters beenden könnte.“
„Ich habe mein ganzes Leben in der Prospect Street verbracht. Ich lebte schon hier, bevor Ihre Mutter und Ihr Vater hergezogen sind. Ich habe viele Dinge gehört und gesehen, aber was das Schlimmste ist: Ich erinnere mich an alles. Der Fluch eines wachen Geistes.“
Faith fühlte sich wie in einem Ratespiel. Dottie Lee rückte die Informationen nicht einfach so heraus. Faith musste immer Fragen stellen, und zwar die richtigen. Sie wusste aus Erfahrung, dass Dottie Lee auf allgemeine Fragen ebenso allgemeine Antworten gab.
Sie überlegte, welche der Informationslücken, die nach ihrem kurzen Gespräch mit Lydia verblieben waren, Dottie Lee schließen könnte. „Gestern bin ich auf etwas Interessantes gestoßen. Soll ich es Ihnen erzählen?“
„Ich habe sonst nichts vor.“
„Remy und ich haben die Tapeten in ihrem Zimmer untersucht. In Hopes ehemaligem Kinderzimmer.“
„Ja?“
Faith überlegte, ob sie der Sache nicht zu viel Bedeutung beimaß. „Es gibt etliche Schichten. Wie man es bei so einem alten Haus erwarten darf.“
„Und?“
„Keine der Tapeten passte zum Kinderzimmer eines kleinen Mädchens. Alles war sehr dunkel und streng, als hätte niemand das Zimmer für ein Baby hergerichtet. Verstehen Sie das?“
„Verstehen? Sie meinen, ob ich ein Zimmer neu tapeziert hätte, wenn ich Nachwuchs erwartet hätte?“
„Nein. Ob es Sie – angesichts des Charakters meiner Mutter – nicht erstaunt, dass sie das Zimmer nicht neu gestaltet hat. Sie erledigt ihre Weihnachtseinkäufe im Juli. Im August werden die Geschenkeverpackt. Im September entscheidet sie sich, welcher Baumschmuck verwendet wird und wo jedes Teil hinkommt. Im Oktober ist das Weihnachtsfest fertig geplant.“
„Die Frau, die Sie kennen, ist nicht dieselbe, die ich gekannt habe.“
„Wollen Sie damit sagen, dass sie nicht immer so ein Zwangscharakter gewesen ist? Ich verstehe ja, dass Hopes Entführung sie verändert hat, aber ich kann nicht glauben, dass sie außer Stande war, ein Kinderzimmer herzurichten. War sie krank?“ Faith zögerte. „Depressiv? Hat sie das Haus schon gehasst, bevor
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