Das Haus in Georgetown
nachzudenken, schminkte sie sich ab und putzte sich die Zähne. Nachdem sie ihr Nachthemd übergestreift hatte, stellte sie sich ans Fenster und schaute zum Wäldchen, das ihr Anwesen vor neugierigen Blicken vollständig abschirmte. Irgendwo bellte ein Hund und wurde zur Ordnung gerufen. Sie meinte, in der Ferne ein Flugzeug zu hören, und als sie die Ohren spitzte, vernahm sie das Wispern der TV-Nachrichten, die Joe in seinem Arbeitszimmer laufen ließ. Er arbeitete stets bei eingeschaltetem, auf laut gestelltem Fernseher – vielleicht gaben ihm die Nachrichten beim Diktieren seiner Memos über irgendwelche entlegenen Formalitäten das Gefühl, im Zentrum der politischen Macht zu sitzen.
Ihre Liebe war verblüht, kaum dass sie begonnen hatte. Bereits nach der kurzen Hochzeitsreise und den ersten gemeinsamen Wochen in ihrem Haus war ihr aufgegangen, wie schrecklich sie sich geirrt hatte. Sie hatte Halsstarrigkeit für Stärke gehalten, Gerissenheit für Intelligenz, Besessenheit für Idealismus. Sie hatte niemanden gehabt, der ihr in den ersten Krisen mit Rat und Tat zur Seite stehen konnte. Naiv, wie sie gewesen war, hatte sie die Donnerwetter in ihrer Ehe einfach durchzustehen versucht, aber diese Stürme hatten ihr jeden Halt und jede Orientierung geraubt.
Und dann war plötzlich Dominik Dubrov aufgetaucht.
Die Arme vor der Brust verschränkt, betrachtete sie die Kiefern am Waldesrand, die der Mond mit einem goldenen Schimmer überzog. Irgendwo jenseits ihrer filigranen Zweige lag das Leben, das sie hätte führen sollen, ein Dasein voller Zärtlichkeit und Nähe und gemeinsamer Werte. Dieses Leben war immer etwas zu weit weg gewesen, knapp jenseits der Bäume oder Wolken oder der Reichweite ihrer Fingerspitzen.
Aber eine Ahnung davon hatte sie doch erhalten, und sie dachte oft an diese Zeit.
„Dominik, ich, also, ich bin überrascht.“ Lydia schob eine goldblonde Strähne hinter ihr Samtstirnband, mit dem sie sich bei der Hausarbeit die Haare aus dem Gesicht hielt. Sie hatte nicht damit gerechnet, Dominik heute zu sehen. „Haben Sie angekündigt, dass Sie heute kommen? Ich dachte, Sandor wollte sich um die Tapete kümmern.“
Dominik Dubrov trat von einem Fuß auf den anderen, was bei ihm jedoch kein Zeichen für Verlegenheit war. Er war ein selbstbewusster, höflicher Mann, dem es nicht an Selbstvertrauen mangelte. Obwohl er über wenig Geld und nicht sehr viel Bildung verfügte,hegte er keinerlei Zweifel daran, dass die Hausbesitzer, die ihn engagierten, sich für den Besten entschieden hatten. Dottie Lee Fairbanks hatte ihr erklärt, dass für die Renovierungsarbeiten am Hustonschen Reihenhaus eigentlich nur ein Mann in Frage komme, nämlich Dominik, und Lydia musste ihr beipflichten.
Dominik presste eine Wollmütze gegen seine Brust; vermutlich hatte er sie gerade erst abgenommen, bevor er klopfte. Fasziniert beobachtete sie, wie seine breiten Hände das cremefarbene Gewebe zwickten und streichelten: ganz sanft, als zupfe er an den Saiten einer Laute.
„Sandor hat noch woanders zu tun, aber ich bin in Miss Fairbanks Haus schon fertig.“ Er sprach mit Akzent; seine Stimme hatte einen leicht gutturalen Klang. Sein Englisch war passabel, doch die Vermutung lag nahe, dass sich sein Denken noch in irgendeiner slawischen Sprache abspielte. Bei ihrer ersten Begegnung hatte sie ihr College-Russisch an ihm ausprobiert, aber er hatte nur gelächelt.
Dominiks Lächeln war bemerkenswert: ein wenig schief und absolut unwiderstehlich.
„Wollen Sie, ich fange heute mit den Tapeten im hinteren Raum an? Ich kann ausmessen und vorbereiten.“
Joe mochte die Tapete in dem Zimmer, das er als Arbeitszimmer ausgewählt hatte, überhaupt nicht. Er fand Grün widerlich und behauptete, ihm werde schwindelig, wenn er den ganzen Tag diese breiten Streifen ansehen müsse. Sie hatte unzählige Musterbücher nach Hause geschleppt, und endlich hatte er sich widerwillig für eine marineblaue Tapete mit winzigen Bourbonenlilien entschieden, die symmetrisch in Reih und Glied marschierten.
Drei Monate waren sie erst verheiratet, und schon hatte sie Joes Manie, alles bis ins Kleinste zu kontrollieren, gründlich satt.
Lydia trat zur Seite, um Dominik hereinzulassen. „Was auch immer Sie vorhaben, es ist mir recht. Ich bin dabei, die Zierleisten anzustreichen.“
„Macht Ihnen das Spaß?“
„Ich würde gerne alles selbst machen. Ich wollte schon immer ein Haus einrichten. Als ich klein war, sind wir so oft umgezogen
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