Das Haus in Georgetown
für Joe Huston entschieden hat. Sie war schön, gebildet, stammte aus einem guten Stall und verfügte über ausgezeichnete Kontakte. Sie hätte bessere Männer haben können. Tut mir Leid, dass ich das so drastisch ausdrücke, aber so war es. Ich nehme an, sie hat in Ihrem Vater mehr gesehen, als wirklich da war. Aber es gab andere Männer, die ein Auge auf sie geworfen hatten. Einige davon wichtiger und würdiger als er.“
Auch Faith erhob sich von der Bank. „Wollen Sie damit behaupten, dass sie eine Affäre hatte? Oder gerne gehabt hätte? Mit einem Kollegen meines Vaters?“
„Ich sage weiter nichts, als dass sie eine attraktive junge Frau war, die in einer Ehe festsaß, die unter keinem sehr glücklichen Stern stand. Eine Schwangerschaft könnte ihre Perspektive durchaus noch weiter verschlechtert haben.“
Faith versuchte, sich ihre Mutter in dieser Zeit vorzustellen. Sie hatte ihre Mutter immer für fast geschlechtslos gehalten: eine Frau, der körperliche Gunstbezeugungen offenkundig nicht behagten, die ihrem Enkelsohn die Hand schüttelte und jedes Mal erstarrte, wenn man sie umarmte. Hatte sich Lydia, enttäuscht von der Ehe, anderswo mehr versprochen? Hatte sie in den Armen eines anderen Mannes Trost suchen wollen – eine Hoffnung, die sich mit ihrer ungewollten Schwangerschaft zerschlagen hatte?
Und hatte das alles womöglich etwas mit Hopes Entführung zu tun?
Dottie Lee zupfte ein totes Blatt von einer Stechpalme ab. „Die Behörden haben sich bemüht, Ihre Schwester und ihren Entführer zu finden, und sind gescheitert. Was lässt Sie glauben, Sie könnten die Wahrheit herausfinden?“
Faith war sich nicht sicher, ob sie das wirklich wollte.
Dottie Lee klopfte sich die Hände ab. „Ihnen wird nicht gefallen, was Sie entdecken. Geheimnisse sind nie geheim, weil sie so schön sind, dass man sie mit niemandem teilen mag. Geheimnisse sind hässliche, widerspenstige kleine Unwesen, und wenn man sie erst einmal aufgedeckt hat, verfolgen sie einen bis ans Lebensende.“
„Na ja, sie verfolgen uns ohnehin.“
„Sie werden allmählich klüger, Faith. Allein das mitzuerleben macht das Leben in diesem alten Körper schon etwas erträglicher.“
Die Party war ein Erfolg, was Lydia nicht überraschte. Im Laufe der Jahre hatte sie ein Partyservice-Team zusammengestellt, das wusste, was sie wollte und wo man das bekam. Caterer, Floristen und Fensterputzer gaben ihr Bestes und erhielten dafür großzügige Trinkgelder. Das Reinemachen und die letzten Vorbereitungen wurden von Marley überwacht, sodass Lydia erst im allerletzten Augenblick auftauchen und alles abnicken musste. Sie arrangierte schon lange keine Blumen mehr um und quälte sich nicht mehr mit der Wahl zwischen Sektschalen und -flöten. Schon vor langer Zeit hatte sie unter schmerzlichen Umständen gelernt, welche Dinge wirklich zählten – und wie schwer es war, ohne sie zu leben.
„Gut gemacht, wie immer, Lydia. Ich glaube, es hat allen gefallen.“ Joe hatte seinen Anzug ausgezogen und trug nun einen Pyjama, der allerdings fast ebenso festlich wirkte. Das Leder seiner Pantoffeln war so gepflegt, als hatte er vor, sich damit auf dem Senatsparkett zu bewegen – dabei befand er sich auf dem Weg in sein Arbeitszimmer, wo er die halbe Nacht damit verbringen würde, Gesetzesvorlagen durchzuarbeiten und alle möglichen Mitarbeiter seines Stabs anzurufen.
„Freut mich, dass du zufrieden bist.“ Lydia knipste das Lichtim Speisesaal aus, aus dem bereits alle Silbertabletts und Cocktailhappen geräumt worden waren.
„Gehst du jetzt ins Bett?“ Als sie nickte, machte er keine Anstalten, sie umzustimmen, sondern nickte seinerseits knapp und machte sich auf den Weg in sein Arbeitszimmer.
Sie schaltete überall das Licht aus, überprüfte die Alarmanlage und das Außenlicht und rief im Gästehaus an, um Samuel zu informieren, dass alles in Ordnung war und sie sich zur Nachtruhe zurückzogen.
Als sie im Schlafzimmer war, schloss Lydia die Tür hinter sich und lehnte sich dagegen, als wolle sie jemanden daran hindern, ihr zu folgen. Natürlich tat das niemand. Sie konnte sich nicht erinnern, wann Joe sie das letzte Mal beehrt hatte. Irgendwann vor seinem Herzinfarkt. Lange, lange davor. Für den jungen Joe war Sex sehr wichtig gewesen, aber als seine Laufbahn in Schwung gekommen war, hatte sein Appetit rasch nachgelassen. Sie hatte sich das als eine Art Triebsublimierung erklärt und war nicht traurig darüber gewesen.
Ohne groß
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