Das Haus in Georgetown
genug.“
„Dass wir zu seinem Geburtstag fahren, weißt du schon lange. Wenn du nicht genug gelernt hast, dann hast du dir offenbar die Zeit falsch eingeteilt.“
„Und ich dachte, mit dir könnte man vernünftig reden!“
Faith kam es so vor, als wäre ihr ihre Vernunft vor einer Wocheabhanden gekommen. Sie war traurig und einsam. Sie hatte das Gefühl, dass etwas in ihrem Leben fehlte. „Zieh dich um, Remy. Wir brechen in einer Viertelstunde auf, und das wirst du in Great Falls nicht tragen.“
„Warum nicht?“ Remys schwarzes T-Shirt endete fünf Zentimeter über ihrem Nabel, und die Capri-Hosen fingen fünf Zentimeter unter dem Nabel an. Fehlte nur noch ein Bauchnabel-Piercing. Lange konnte es nicht mehr dauern, bis sie sich über solchen Schmuck streiten würden.
„Weil es November ist“, erwiderte Faith. „Weil die Außentemperaturen heute Nachmittag unter zehn Grad gefallen sind. Weil deine Großeltern nicht so viel von dir sehen wollen, wie du ihnen zeigen willst. Ich übrigens auch nicht.“
„Du bist echt ein hoffnungsloser Fall.“
Faith schlüpfte in einen Schuh, dann in den anderen. „Du sagst es. Aber trotzdem habe ich noch all meine Sinne beisammen. In diesem Aufzug tauchst du nicht in Great Falls auf, und wenn du dich jetzt nicht ruck, zuck umziehst, tauchst du die nächsten tausend Jahre nirgendwo mehr auf. Kapiert?“
Remy starrte sie an. Dieser Tonfall war so untypisch, dass auch Faith sich fragte, ob da eben ein böser Geist in sie gefahren war.
„Du zeterst nur noch rum.“ Remy hatte die Fassung wiedererlangt und verschwand im Flur. „Bla, bla, bla.“ Sie schlug ihre Tür zu.
Faith setzte sich und stützte den Kopf in die Hände. Sie war leicht reizbar und ungenießbar, aber ihre Kinder traf daran keine Schuld. Aber verdammt sollte sie sein, wenn sie sich entschuldigte!
Eine halbe Stunde später waren sie auf dem Weg nach Virginia. Remy hatte einen annehmbaren Rock und einen Pullover angezogen, und Alex trug ein blassblaues Sweatshirt und seine einzigeHose, die nicht aus Jeansstoff war. Faith’ Eltern würden zumindest an der Kleidung nichts auszusetzen haben, wenn sie auch alles andere schrecklich fanden, was Kinder eben so taten. Faith hoffte für Remy und Alex, dass die Geburtstagsfeier nicht allzu lange dauern würde.
„Sind wir die Einzigen, die kommen?“ wollte Alex wissen, als sie sich der Ausfahrt nach Great Falls näherten.
„Soweit ich informiert bin, ja. Wir essen zu Abend, dann gibt’s Kuchen und Eis, anschließend überreichen wir eurem Großvater die Geschenke und fahren zurück. Ihr müsst morgen zur Schule.“
„Gott sei Dank!“ seufzte Remy.
„Meinem Biologielehrer hat mein Vorschlag für den Wissenschaftswettbewerb gefallen.“
Fast wäre Alex’ Bemerkung untergegangen, aber die letzten Worte weckten Faith’ Interesse. „Für den Wissenschaftswettbewerb?“
„Hm-m. Weißt du nicht mehr, ich habe dir letzte Woche davon erzählt.“
Sie erinnerte sich an nichts. An kein einziges Wort, aber schließlich hatte sie sich letzte Woche vollkommen von der Welt abgekapselt. „Hilf mir auf die Sprünge.“
„Ich will ein Computerprogramm schreiben, womit man das Verhalten von Tieren berechnen kann. Lefty soll mir dabei als Studienobjekt dienen. Ich will ihn jeden Tag eine Viertelstunde beobachten, eine Woche lang. Jeden Tag zu einer anderen Zeit. Ich möchte zum Beispiel zählen, wie oft er sein Laufrad benutzt, wie oft er Wasser trinkt ...“
„Wie oft er kackt“, ergänzte Remy.
Alex ignorierte sie. „Dann trage ich die Daten in das Programm ein, das ich schreibe. Wenn ich es laufen lasse, wird dasProgramm berechnen, wie oft er diese Sachen an einem Tag tut, und in den einzelnen Zeiträumen.“
„Also bloß addieren und Mittelwerte bilden“, sagte Remy. „Das kann jeder im Kopf ausrechnen.“
„Nein, eben nicht. Denn das Ergebnis hängt von mehreren Variablen ab. Ich möchte so genau wie möglich herausfinden, ob Ratten tatsächlich immer dasselbe tun. Also, ich werd’s mit verschiedenen Reizen versuchen. Eine Tabelle für sein Verhalten, wenn das Licht an ist, eine für sein Verhalten im Dunkeln ...“
„Ha. Zu dumm, dass du im Dunkeln nichts siehst.“
„Remy!“ Faith drehte sich zu Alex um. „Das klingt ziemlich anspruchsvoll. Kannst du denn dafür gut genug programmieren?“
„Pavel kann mir ja helfen.“
Sie hatte den Kindern nichts von ihrem Streit mit Pavel erzählt, aber jetzt musste sie es tun. „Ich glaube
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