Das Haus in Georgetown
„Möchtest du etwas trinken?“
Faith lehnte ab. Sie zitterte, und Lydia ging zum Kamin, um die Gasflamme zu entzünden. Im Zimmer war es bereits warm, aber die Außentemperatur lag unter dem Gefrierpunkt. Es war Schnee gefallen, mehr sollte folgen.
„Du musst bleiben“, meinte Lydia. „Ich lass dich so spät nicht mehr nach Hause fahren. Was hast du dir nur dabei gedacht, bei diesem Wetter herzukommen?“
„Ich habe mir gedacht, dass es keinen Aufschub verträgt.“
Lydia wusste nicht, was sie antworten sollte. „Sind die Kinder gut weggekommen? Alex mit seinem Vater?“
„Sie sind beide mit David unterwegs.“
Lydia, die auf dem Weg zu dem Sofa war, auf dem Faith saß, verlangsamte ihre Schritte. „Du machst Witze.“
„Nein, Remy wollte mitfahren. Es hat einen hässlichen Zwischenfall gegeben, Mutter. Sie hat sich mit Jungen vom College herumgetrieben, jungen Männern aus unserer Straße. Ich will das jetzt nicht ausbreiten, aber sie ist okay. David hat sie aus einer üblen Klemme befreit, und sie haben sich versöhnt.“
Lydia kam zu ihr, nahm eine aus luftigem weißen Mohair gehäkelte Winterdecke von der Sofalehne und wickelte sie Faith um dieBeine. „Deshalb bist du also gekommen. Kein Wunder, dass du so aufgeregt bist.“
„Mutter, du weißt noch nicht einmal die Hälfte.“
„Remy ist in Ordnung? Wirklich?“
„Ich denke schon. Und David kümmert sich um sie. Aber deshalb bin ich nicht hier.“
„Warum dann?“
„Ich bin nicht sicher, wie ich es dir beibringen soll.“
Lydias Herz schlug schneller. „Das ist die schlechteste Eröffnung überhaupt. Erzähl es mir einfach.“
Faith beugte sich vor, um Lydias Hände zu ergreifen. „Mutter, wir haben Hope gefunden.“
Pavel Quinn, Dominiks Sohn, flog noch am selben Tag nach Kanada, um seine Halbschwester zu suchen. Er kannte Leute in mehreren New Yorker Verlagen und war zuversichtlich herauszufinden, wo Hope wohnte. Hope, die jetzt Karina hieß.
Karina Gililand, eine Frau mit einem Haus, einer Familie und einem Beruf.
Trotz Lydias Protesten war Faith, nachdem sie ihr die ganze Geschichte erzählt hatte, nach Hause gefahren, um Lydia und Joe Gelegenheit zur Klärung zu geben. Lydia hatte es irgendwie geschafft, ihre Tochter zur Tür zu begleiten, sogar auf die Wangen zu küssen und sie wegfahren zu sehen. Aber es dauerte Stunden, bis sie dieses unwirkliche Gefühl loswurde. Die halbe Nacht starrte sie zitternd die Decke an. Als sie kurz vor Anbruch der Morgendämmerung einschlief, hatte sie wieder den altbekannten Albtraum, aber diesmal war die Musik sanft, und Sonnenlicht strahlte durch die Fenster. Diesmal fand sie den Weg in Hopes Zimmer, und der Säugling lag friedlich schlummernd in seinem Bettchen.
Als Lydia aufwachte, wusste sie nicht, wie sie es ihrem Mann sagen sollte, aber sie sah ein, dass Faith Recht hatte: Dieses Gespräch vertrug keine Zuhörer.
Um sieben hielt sie es nicht mehr im Bett aus. Sie zog sich einen Morgenmantel über ihr Nachthemd und ging Kaffee kochen. Marley hatte einen freien Tag, und Lydia war froh, mit ihrem Mann allein zu sein.
Um halb acht kam Joe fertig angekleidet in die Küche. Sie mussten erst um halb zehn aus dem Haus, aber wie immer würde er die nächsten zwei Stunden in seinem Büro arbeiten.
„Setz dich“, sagte sie. „Wir müssen reden.“
„Ich muss telefonieren. Geht das nicht später?“
„Nein, unmöglich.“ Sie trug ein Tablett mit dem Kaffeeservice und einem Teller mit Toast ins Frühstückszimmer, und er folgte ihr widerwillig.
„Geht es um Faith?“
„Nein.“ Lydia stellte das Tablett auf die Anrichte und schenkte sich selbst Kaffee ein, bevor sie sich umdrehte. „Nein, Joe, es geht um Hope.“
Joe nestelte an der Faltjalousie des Fensters herum, das seinem Stuhl am nächsten war. Er drehte sich um und zog die Brauen zusammen. „Was kann es da schon Neues geben?“
„Dass sie gefunden worden ist.“
Sein Ausdruck blieb unverändert. Sie wusste, dass er ihr nicht glaubte.
Lydias Knie drohten nachzugeben. Mit der Tasse in der Hand ging sie zum Tisch und sank auf ihren Stuhl. „Natürlich heißt sie nicht mehr Hope Huston. Ihr Name ist Karina Gililand. Ich habe ein Foto. Willst du es sehen?“
„Das ist doch absurd!“
„Setz dich, Joe.“
Die Jalousie schlug gegen das Fenster, sein Stuhl scharrte über das Parkett. „Was versuchst du mir da unterzujubeln?“
„Die Wahrheit.“ Lydia konnte die Tasse nicht mehr halten und setzte sie ab. „Hope
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