Das Haus in Georgetown
Gedanken rotierten. „Weil einige Zeit vor meiner Geburt ein Handwerker namens Dominik Dubrov in einigen Häusern hier in der Gegend gearbeitet hat.“
„Das ist doch hundert Jahre her! Wieso kennst du seinen Namen?“
Faith legte Remy eine Hand aufs Knie. „Weil Dominik Dubrov nach Hopes Entführung der Hauptverdächtige war. Noch heute glauben die meisten Leute, die sich mit dem Fall beschäftigt haben, dass er der Mann ist, der meine Schwester gekidnappt hat.“
15. KAPITEL
Bevor sie sich versah, war der Sommer dem Herbst gewichen. Faith hatte den Eindruck, dass der Wandel der Jahreszeiten so ziemlich das Einzige war, worum sie sich nicht kümmern musste und wofür sie nicht die Verantwortung trug.
Zwar hatte sich die Familie halbwegs wohnlich eingerichtet, aber sie arbeitete immer noch so hart, dass sie vor Erschöpfung kaum die Augen aufhalten konnte. Es gab jedoch Momente, in denen sie der Blick auf das, was sie schon geschafft hatte, mit Stolz erfüllte.
Obwohl die Kosten ihr Kopfzerbrechen bereiteten, hatte sie sich für Pavels teuersten Umbau-Entwurf entschieden. Sie hatte einen Bauunternehmer beauftragt, in die Rückseite des Hauses Verandatüren einzubauen, auch wenn diese vorerst ins Nichts führen würden, bis sie sich eine Hochterrasse leisten konnte. Das Entfernen der Zwischenwände übernahmen sie und die Kinder selbst, so dass es sie nur ein Brecheisen und einen Vorschlaghammer kostete – plus einen neuen Stiefelabsatz. Das Werkzeug war billiger als jede Psychotherapie.
Die Idee, den Tonnenmann zu engagieren, um den Garten vom Gestrüpp zu befreien, stammte von Dottie Lee. Sie hatte Faith erzählt, dass Alec auch bei ihr schon als Gärtner gearbeitet hatte und keinen überzogenen Stundenlohn verlangte. Als Faith zögerte, versicherte Dottie Lee, dass er bei der Arbeit nie trank. Ihr zufolge fluchte er nicht einmal.
Nachdem alle Bedenken ausgeräumt waren, trat der Tonnenmann am nächsten Müllabfuhrtag in Faith’ Dienste. Alex, der immer Geld für neue Computerteile brauchte, bot ebenfalls seine Hilfe an, als er erfuhr, dass er in seinem eigenen Garten den gesetzlichenMindestlohn verdienen konnte. Er arbeitete gerne mit dem Tonnenmann zusammen, und sie kamen gut voran.
Der Elektriker kümmerte sich um die Leitungen, der Klempner verlegte Rohre für eine neue Spüle und einen Geschirrspüler, der Bauunternehmer entfernte alle alten Wandschränke und half Faith, neue zu bestellen. Sie entschied sich für preiswerte Eiche aus dem Baumarkt, die sie selbst zu lackieren gedachte, und schlichte Arbeitsflächen aus Kunststoff in einem satten Rot – ihrem Sohn zuliebe.
Während alle anderen beschäftigt waren, hantierte Faith im Erdgeschoss tapfer mit einem Zerstäuber, Tapetenmessern, großen Schwämmen und grobem Schmirgelpapier, um alle alten Tapeten abzulösen. Anschließend spachtelte sie die kleineren Löcher zu, damit sich der Stuckateur auf die großen Schäden konzentrieren konnte. Als sie damit fertig war, spachtelte sie auch noch die Decken und ging dann Farbe aussuchen.
Das war der Moment, in dem ihr aufging, wie wenig sie über das Haus wusste.
Fünf Generationen lang war es eine Art Mutterschoß gewesen, der ihre weiblichen Ahnen genährt und geborgen hatte. In dieser Zeit hatte sich Georgetown von einem beschaulichen Tabak-Hafen in eine teure Wohngegend am Rande einer geschäftigen Metropole verwandelt. Hopes Entführung war dafür verantwortlich gewesen, dass Faith die Familientradition nicht hatte fortsetzen können, aber jetzt, in den Nachwehen ihrer eigenen Tragödie, fand sie zu ihren Wurzeln zurück.
Sie hatte sich Hals über Kopf in das Abenteuer der Renovierung gestürzt und besaß viel zu wenig Kenntnis über die Frauen, die vor ihr hier gewohnt hatten. Sie hatte keine Ahnung von ihren Hoffnungen und Träumen, ihren Gewohnheiten, ihren Sehnsüchten. Vor allem wusste sie zu wenig über die Zeiten, in denen sie gelebt hatten, und über die Stile und ästhetischen Vorlieben, die sich daraus ergeben hatten.
Sie wusste über praktisch alles zu wenig. Genau wie Lydia.
Lydia, die ihre Verabredungen mit Faith früher ähnlich systematisch wie ihre Friseurtermine ausgemacht hatte, kam nun plötzlich jedes Mal in der Prospect Street vorbei, wenn sie sich in der Stadt aufhielt. Wenn Faith beschäftigt war, krempelte sie oft selbst die Ärmel hoch und packte mit an. Faith war diese neue Mutter, die sich Kritik verkniff und sich plötzlich ernsthaft für Renovierungsfragen
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