Das Haus in Georgetown
beide vor Erschöpfung keuchten.
Remy machte einen Schritt nach hinten, und Faith setzte sich wieder auf den Boden – diesmal allerdings freiwillig. Sie fühlte sich an jene Zeiten erinnert, als sie mit ihrer Tochter Kekse gebacken oder Puppenkleider genäht hatte. Sie spürte die Mutter-Kind-Bindung.
„Spitze“, sagte Remy. „Jetzt sieht die Küche noch übler aus. Hätte ich nicht für möglich gehalten.“
Faith wusste, dass sie sich entschuldigen und darauf hinweisen sollte, dass es bessere Methoden gab, mit seiner Wut umzugehen.Aber sie bereute es überhaupt nicht, die Wand malträtiert zu haben. Endlich hatte sie mal etwas getan, das ihr einfach nur gut tat.
Anstatt um Verzeihung zu bitten, rutschte sie näher an das Loch und spähte hindurch. Pavel hatte Recht gehabt: Wenn sie diese Wand und die vor der Waschküche entfernten, gewannen sie eine Menge Platz, um die Küche zu erweitern.
„Wie es ausschaut, ist die Wand etliche Jährchen alt.“
„Wohin führte die Treppe?“ fragte Remy.
„Vermutlich zu einem Wintergarten oder auch nur zu einer Art Hochterrasse vor deinen Fenstern. Vielleicht war sie als Feuertreppe gedacht; sehr hilfreich dürfte sie allerdings nicht gewesen sein. Oder als Hintertreppe für die Bediensteten. Als das Haus gebaut wurde, hatten auch die nicht so wohlhabenden Leute Personal.“
„Ist Hopes Entführung so abgelaufen? Hat sich jemand diese Treppe hochgeschlichen und meine Fenster geöffnet? Du hast behauptet, niemand könne hinein.“
„Ich bin mir sicher, dass die Treppe bei Hopes Geburt schon nicht mehr benutzbar war.“ Faith rutschte noch ein Stück näher. Kurz hinter der Wand lag etwas: ein vergilbtes Stück Papier. Sie steckte einen Arm durch das Loch und zog das Blatt vorsichtig hindurch.
„Was hast du gefunden?“
„Echt antiken Abfall.“ Faith hielt das Papier mit den Fingerspitzen fest und setzte sich bequemer hin. Das Blatt war nicht so alt, dass es zerfiel, aber als sie es auseinander faltete, riss es entlang eines Falzes ein. Vorsichtig strich sie es glatt.
„Was ist das?“
„Eine Notiz.“ Handgeschrieben, offenbar mit einem Füllfederhalter, auf einem linierten Schulheftblatt. Die Schrift war verblichen, aber lesbar. Die Buchstaben waren sauber ausgeführt; offenbarhatte der Verfasser zu einer Zeit schreiben gelernt, als in der Schule noch Wert auf Schönschrift gelegt wurde.
„Was steht drauf?“ Remy nahm neben ihrer Mutter auf dem Boden Platz. Faith roch das Zitrus-Shampoo ihrer Tochter und spürte, wie das weiche Gewebe eines T-Shirts über ihren Oberarm strich.
Sie schloss kurz die Augen und kostete diesen Moment voll aus. Vor wenigen Monaten erst hatte sie eine süße kleine Tochter gehabt, jetzt war da ein Teenager. Dieses Kind, das mit ihr über alles Mögliche geredet und auf ihren Rat gehört hatte, fehlte ihr entsetzlich. Sie hoffte, dass Remy und sie irgendwann wieder gute Freunde sein könnten, aber im Augenblick blieb ihr nichts anderes übrig, als ihren Erinnerungen nachzuhängen.
„Es ist schwer zu entziffern“, meinte Faith. Sie hielt das Blatt gegen das Licht. „Sehr geehrte Mrs. Huston ...“
„Großmutter? Vielleicht ist es eine Lösegeldforderung.“
„Ich glaube nicht, dass es so spannend wird.“ Remys Kopf war jetzt direkt neben ihrem, und sie unterdrückte das Bedürfnis, ihre Tochter zu umarmen. Remy und Gast waren sich in einem Punkt sehr ähnlich: Wenn man nach ihnen griff, fuhren sie sofort die Krallen aus.
„Gib mal her.“ Nach einer Pause fügte Remy hinzu: „Bitte.“
„Sei vorsichtig, damit es nicht noch weiter einreißt.“ Faith überließ ihrer Tochter das Blatt. „Lies vor.“
Remy beugte sich über die blasse Schrift und begann: „Es gibt viel zu tun, und ich habe nur einen kleinen Anfang gemacht. Wie Sie es wünschten, habe ich in der Küche angefangen und die Tapeten entfernt.“ Remy guckte kurz hoch. „Wer auch immer das geschrieben hat, in Rechtschreibung war er nicht gut. Da sind zu viele Ps in Tapeten. Und der Stil ist komisch.“
„Was steht noch da?“
Remy fuhr fort: „Wenn ich wiederkomme, werde ich die Wände so weit herrichten, dass sie gestrichen werden können. Hochachtungsvoll, Dominik Du... Du...“ Sie schaute Faith an. „Der Rest ist verschmiert.“
Faith warf einen kurzen Blick auf das Stück Papier. Dann lehnte sie sich zurück. „Dubrov. Dominik Dubrov.“
„Woher weißt du das? Du kannst den Namen doch nicht besser entziffern als ich.“
Faith’
Weitere Kostenlose Bücher