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Das Haus in Georgetown

Das Haus in Georgetown

Titel: Das Haus in Georgetown Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emilie Richards
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sich in seinem besten Anzug auf den Treppenstufen nieder.
    David hatte die ersten gut vierzig Jahre seines Lebens in der Überzeugung verbracht, stets zu wissen, was zu tun war. Sein Vater hatte nie irgendetwas in Zweifel gezogen. Es gab nur einen Weg, den Weg des Herrn, und nichts anderes kam in Frage. Als Erwachsener hatte David Arnold Bronsons Vorurteile und Überzeugungen natürlich durchschaut. Er hatte sich sein eigenes Wertesystem zurechtgebastelt, aus Komponenten, die er von seinem Vater oder von anderen Mentoren übernahm. Manche beruhten auch auf eigenen Überlegungen, die er in den Stunden angestellt hatte, die er auf Knien verbrachte.
    Jetzt war er orientierungslos. Ganz besonders, wenn es um seine Kinder ging. Zu Alex baute er zaghaft eine neue Beziehung auf, die ihn mit Hoffnung erfüllte. Die gestelzten Dialoge verwandelten sich allmählich in freundliche, altmodische Vater-und-Sohn-Gespräche. Er erkannte, dass er seinen Sohn nie so akzeptiert hatte, wie er war, und seinen Fähigkeiten zu wenig Beachtung geschenkt hatte. Alex war Faith’ Kind gewesen, Remy Davids. Geliebt hatte er sie beide. Er hätte jederzeit sein Leben für Alex hingegeben, aber er hatte nie versucht, ihn wirklich zu verstehen.
    Zum ersten Mal nahm er wahr, was für ein einzigartiges und interessantes Kind er gezeugt hatte. Die Zeit, die sie miteinander verbrachten, war ihm doppelt kostbar: Sie wog all die Tage auf, an denen er Alex nicht sehen konnte, und die Jahre, in denen er zuvoreingenommen gewesen war, um in seinem Sohn den Jungen zu erkennen, der er wirklich war.
    Diese neue Nähe zu Alex ließ ihn Remy umso schmerzlicher vermissen.
    Er erinnerte sich gut an den Tag, an dem Faith und er mit ihrer Tochter aus dem Krankenhaus gekommen waren. Sie war ein kleines Baby gewesen, so zerbrechlich und verwundbar. Ein Blick auf sein Töchterlein hatte genügt, um ihn von irgendeinem Mann in Remys Vater zu verwandeln.
    Daran hatte sich in all den Jahren wenig geändert. Er konnte sich an jedes wichtige Ereignis in Remys Leben, jedes Vorsingen, jedes Fußballspiel entsinnen. Die Stunden, die sie gemeinsam mit Diskussionen über Geschichte, Religion und Moral verbracht hatten, hütete er wie einen Schatz.
    Faith’ Freundschaft fehlte ihm, und er sehnte sich danach, jeden Abend nach der Arbeit von Alex begrüßt zu werden. Aber Remy vermisste er so, wie er einen Arm oder ein Bein vermissen würde.
    David rutschte ein Stück und lehnte sich gegen das Geländer. Es war alt und rostig, und er versuchte möglichst wenig Druck darauf auszuüben. An dem Haus musste so viel getan werden. An ihrem Leben musste so viel getan werden. Wie das Geländer konnte die Familie unter jeder winzigen weiteren Belastung irreparabel zusammenbrechen. Es war nötig, das Verhältnis zu seiner Tochter in Ordnung zu bringen, und zwar jetzt. Wenn er es jetzt nicht schaffte, würde der Rost den letzten Rest an gesunder Substanz auch noch zerfressen.
    Nach etlichen Minuten entdeckte er Remy und Alex, die sich von der Wisconsin Avenue aus näherten. Er hatte nicht gewusst, dass sie den Schulweg zu Fuß zurücklegten, und er nahm Faithdiese Entscheidung übel. Er fragte sich, worüber seine Kinder wohl gerade sprachen. Unterhielten sie sich über die Veränderungen in ihrem Leben? Versuchte Alex seine Schwester zu überreden, David eine Chance zu geben?
    In seinen wildesten Träumen hatte er sich nicht vorstellen können, dass sein Sohn ihn eines Tages vor seiner Tochter in Schutz nehmen würde.
    Remy und Alex waren noch einen halben Häuserblock entfernt und ins Gespräch vertieft. Keine angenehme Unterhaltung offenbar, sondern ein Streit, wie ihre Mienen verrieten. Obwohl Alex jünger war als seine Schwester, überragte er sie bereits. Hatte sie den lästigen kleinen Bruder früher von oben herab behandeln können, musste sie jetzt zu ihm aufblicken. Sie streckte das Kinn störrisch vor, ballte die Fäuste und sprach so laut, dass David ihre Stimme hören konnte.
    Plötzlich erkannte Remy ihren Vater.
    Ihr Verdruss schien sich in Hass zu verwandeln. Sie kniff die Augen zusammen, und auch wenn er es aus dieser Entfernung nicht sah, wusste er, dass sie gefährlich blitzten. Mitten im Schritt hielt sie inne und wippte auf den Absätzen vor und zurück. Auf einmal änderten sich ihre Haltung und ihr Gesichtsausdruck noch einmal; sie schien flüchten zu wollen.
    Davids erster Gedanke war, ihr nachzulaufen, falls sie wegrennen sollte. Dann überlegte er es sich anders.

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