Das Haus in Georgetown
dem Haus geboren worden, hatte aber als Erwachsene nicht darin gelebt. Nach ihrer Hochzeit mit Harold Charles ging sie fort, da seine außergewöhnliche Karriere im Außenministerium Aufenthalte in allen Gegenden der Welt erforderte. Millicent starb an Malaria, die sie sich während einer Kongoreise zugezogen hatte. Harold, der deutlich älter war, kam zwei Jahre später bei einem schweren Autounfall ums Leben.
Und schließlich betrat Lydia die Szene. Einsam und verloren, verliebte sie sich wenige Monate nach dem Tod ihres Vaters in Joe Huston.
Faith konnte sich gut vorstellen, dass der forsche Politiker, der auf alles eine Antwort parat hatte, der orientierungslosen jungen Frau imponiert haben musste. Und umgekehrt war die hübsche Debütantin, deren Familienname einem in Washington alle wichtigenTüren öffnete, für einen Mann, der seine politische Laufbahn ankurbeln wollte, eine gute Partie gewesen.
Faith kam es so vor, als habe sie einen flüchtigen Blick auf jenen Strom werfen dürfen, der sie ins Dasein gespült hatte. Namen. Daten. Berufe. Jedes Detail, das sie entdeckte, bestärkte sie in dem Gefühl, Teil dieser Geschichte zu sein. Ihre Nachforschungen galten nicht nur einem Gebäude, sondern dem Ursprung dieses Stroms. Das Haus war so etwas wie die Quelle, an der sich all ihre Vorfahren versammelt und gelabt hatten.
Und sie saß offensichtlich schon zu lange in der Bibliothek.
„Es scheint, als würde Ihnen die ganze Sache Spaß machen.“
Faith blickte auf. Eine ältere Dame in einem marineblauen Designerkostüm, an dem selbst Lydia nichts hätte aussetzen können, stand ihr gegenüber. Ihr kurzes Haar war silbergrau, und jede Strähne lag akkurat.
„So ist es.“ Faith versuchte, die Fremde einzuordnen, aber es gelang ihr nicht.
„Das begreife ich nicht. Die Bücher, die Sie sich angesehen haben, sind noch schlimmer als die, die man mir gegeben hat.“
„Forschen Sie nach einem Haus? Oder einer Person?“
„Einem Haus. Nächste Woche kommt mein Chor zum Liederabend, und ich fürchte, dass irgendjemand Fragen stellen wird, die ich nicht beantworten kann. Das passiert immer. Dieses Mal will ich gewappnet sein.“ Sie zog eine Grimasse, was sie offensichtlich nicht oft tat – aus Angst, eine solche Aktion könne eine Falte in ihrem Gesicht hinterlassen. „Mir wäre es viel lieber, wenn jemand das für mich erledigen könnte ...“ Dann ging sie.
„Wer war diese Dame?“ fragte Faith, als Dorothy ein paar Minuten später vorbeischaute. Sie wurde das Gefühl nicht los, dass sie sie kannte.
Dorothy lächelte, als wolle sie sagen, dass sie keine Namen nennen dürfe. Aber sie gab ihr einen Hinweis. „Während der Reagan-Ära hat sie mit Nancy zu Mittag gegessen, wann immer ihre Terminpläne es zuließen. Noch heute fliegt sie mindestens einmal im Monat nach Kalifornien, um diese Tradition aufrechtzuerhalten.“
„Ich bezweifele, dass sie öfter im Peabody-Saal ist.“
„Sie wären überrascht, wie viele solcher Leute es gibt. Sie möchten die Fakten, aber nicht die Akten.“
Das musste Faith erst einmal verdauen. Sie konnte sich kaum vorstellen, dass sich viele Menschen nicht für Geschichte interessierten.
Dorothy wollte gehen, aber Faith hielt sie zurück. Der Blick in die Familiengeschichte hatte sie darauf vorbereitet, sich dem Teil zuzuwenden, der sie selbst am stärksten betraf.
„Sie haben ein Album erwähnt, in dem es um die Entführung meiner Schwester geht ...“
„Ich habe mich schon gewundert, dass Sie noch nicht danach gefragt haben.“
„Heute schaffe ich es nicht mehr, es durchzugucken, aber vielleicht gibt es ein paar Artikel darin, die ich schon mal kopieren könnte.“
„Sind Sie noch ein bisschen hier?“
Faith schaute auf die Uhr. Remy und Alex mussten jeden Augenblick von der Schule kommen, aber sie konnten ruhig eine Weile allein bleiben. Eigentlich war Remy alt genug zum Babysitten. Faith würde mit ihrem Handy zu Hause anrufen und eine Nachricht auf Band sprechen.
„Etwa zwanzig Minuten“, antwortete sie Dorothy.
„Ich werde sehen, was ich für Sie tun kann.“
David ahnte, dass er sich selbst und die Kinder in neue Schwierigkeiten bringen würde, indem er bei ihnen auftauchte. Aber er war gerade in der Nähe bei einem Vorstellungsgespräch gewesen, und die Sehnsucht nach Alex und Remy hatte ihn vor Faith’ Tür getrieben. Das Haus war abgeschlossen, und er vermutete, dass seine Frau die Kinder gerade von der Schule abholte. Vorsichtig ließ er
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