Das Haus mit der grünen Tür
Nichts Konkretes. Nichts weiter als mein Besuch bei Moberg und diese Zeitabläufe. Keine offensichtlichen Motive, keine Beweise, keine ordentlichen Indizien. Realistisch betrachtet hatten sie gar nichts, und das wußten sie. Sie waren gezwungen, mich laufenzulassen. Um halb sechs Uhr morgens fuhren Ellingsen und Boe mich wieder nach Hause.
Um zehn nach halb sechs lag ich in der Koje, in allen Kleidern. Um zehn vor sieben rief William Moberg an, der Anwalt.
Ich wälzte mich benommen aus dem Bett und mit der Bettdecke um den Körper gewickelt über den Boden, wie eine schlechte Pantomimenversion einer »kriechenden Wolldecke«, und griff mit beiden Händen nach dem Telefonhörer, wie um mich festzuhalten.
»Veum, hier ist Moberg, ich bin um halb neun zum Verhör bestellt, und wir haben da noch ein paar Kleinigkeiten zu diskutieren.« Er plapperte drauflos, wie ein morgenfrischer Sportlehrer, aber ich war kein wacher Schüler. Nicht an dem Morgen.
»Langsam, langsam, langsam«, grunzte ich in den Hörer. »Laß mich wenigstens erst mal den Hörer in die richtige Position bringen.« Ich drehte den Hörer um und strampelte die Bettdecke weg. Ich schwitzte, und ich hatte dröhnende Kopfschmerzen. Die Haut in meinem Gesicht prickelte, als hätte mich jemand in Essig getaucht.
Moberg redete, etwas langsamer jetzt, aber aus weiter, weiter Ferne, als wäre er noch immer in Stavanger und hätte nur Geld für ein Ferngespräch nach Haugesund gehabt. »Wir müssen miteinander reden, Veum, jetzt, bald, es ist wichtig.«
Ich krächzte: »Hör zu, Moberg. Ich mag dich nicht, und du magst mich nicht. Das ist in Ordnung. Völlig in Ordnung. Aber es gibt Leute, die glauben, daß wir beide zusammen Pläne geschmiedet hätten, häßliche Pläne, böse Pläne …«
»Was für Pläne?«
»Ein paar Leute glauben«, fuhr ich fort, mit schmerzenden Stimmbändern, »ein paar Leute glauben, daß du und ich zusammen den Plan hatten, deine Frau um die Ecke zu bringen – und daß wir ihn tatsächlich durchgeführt hätten!«
Es wurde einen Moment lang still. Dann kam: »Aber das ist doch absurd!«
»Genauso absurd, wie Leute mitten in der Nacht anzurufen.«
»Es ist sieben, Veum. Aber – aber, das ist doch …«
»Mir soll es egal sein«, fuhr ich unverdrossen fort. »Ich weiß, daß ich deine Frau nicht ermordet habe. Wie steht es mit dir?«
»Wie steht es mit … Aber das ist – das ist doch vollkommen absurd, Veum. Ich – ich war in Stavanger, als –«
»Genau. Also, du hast sie nicht ermordet. Ich war es nicht. Das einzige, was wir dann zu tun haben, ist, uns an die Wahrheit zu halten. So gerissene Typen wie wir fallen keinem Justizmord zum Opfer, jedenfalls nicht in Norwegen.«
»Aber das war genau der Grund, warum ich anrufe.«
»Was?« Es flimmerte mir vor den Augen, und ich versuchte, mich auf den Rücken zu legen und die Beine in die Luft zu strecken.
»Die Wahrheit. Ich werde alles leugnen, Veum!«
»Leu …« Ein kaltes Insekt sauste an meinem Rückgrat hinunter. »Was leugnen, Moberg? Deine Sekretärin hat schon gesagt, daß ich in deinem Büro war.«
»Ja. Das weiß ich. Aber ich erzähle, daß es um einen Fall ging, an dem ich gerade arbeite. Wo ich der Schweigepflicht unterliege. Ich werde leugnen, daß ich überhaupt mit dir über – über – Margrete gesprochen habe.«
»Leugnen – aber warum, Kruzifix noch …«
»Sie ist tot, Veum.« Seine Stimme klang nachdrücklich schnarrend durch den Hörer. »Ich will nicht ihr – Andenken beschmutzen. Wenn sie mir untreu war, oder was es nun war, nicht einmal mit einer solchen Verdächtigung will ich ihr … Ich leugne alles, Veum. Alles.«
Ich war eine Weile stumm. Ich suchte nach Worten. »Aber, aber, verstehst, begreifst du nicht – du stempelst mich doch zum Lügner, Mann!«
Die Stimme war jetzt kühl. »Das ist dann deine Sache, Veum. Nicht meine. Ich wollte dich nur im voraus unterrichten. Jetzt weißt du also, was du von mir zu erwarten hast. Nutz die Morgenstunden dazu, deine Aussage zu ändern. Ich werde dich darin unterstützen, wenn du sagst, es ging um eine völlig belanglose Angelegenheit … Aber sonst: keine Verbindung, Veum. Überhaupt keine. Guten Morgen.« Raschel, knall, klick. Summton.
Ich starrte ungefähr eine Minute lang den summenden Telefonhörer an, ehe ich auflegte und den morgendlichen Geräuschen um mich herum lauschte: das Rauschen aus den Rohren, ein Hund, der seinen Morgengesang bellte, ein träge startender Automotor
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