Das Haus mit der grünen Tür
sauber, daß man wahrscheinlich auch dort sitzen konnte. Bevor man das eigentliche Zimmer betrat, ging man durch einen kleinen Gang mit einem Kleiderschrank und einer Hutablage, und zur Linken eine Toilette mit Dusche.
Der echte Ragnar Veide begrüßte mich mit einem bekümmerten Ausdruck in dem blassen Gesicht. Der Blick der blaßbraunen Augen flackerte, und der verbeulte Mund krümmte sich, während er sprach: »Ich bin nicht sicher, daß ich das Richtige tue, wenn ich Sie empfange, Veum. So wie ich Kommissar Muus verstanden habe, sind Sie der Hauptverdächtige für den Mord an meiner …«
Er hielt inne, und ich sagte: »Sie glauben doch wohl nicht, daß sie mich so schnell wieder laufengelassen hätten, wenn sie das wirklich glauben würden?«
Er sah aus, als wüßte er nicht, was er glauben sollte.
Ich fuhr fort: »Sie haben es wohl eine Weile geglaubt, aber ich habe sie vom Gegenteil überzeugt. Und hier bin ich.« Ich hatte das Gefühl, meine Situation ein bißchen zu optimistisch darzustellen, aber ich fuhr im selben Tonfall fort: »Was ich gern wissen möchte, ist: Wieviel Wahres war an dem, was mir der falsche Ragnar Veide erzählt hat? Wer war eigentlich Ihre Schwester – hatten Sie Kontakt zu ihr?«
Veide schüttelte den Kopf. »Wenig. Margrete …« Er zögerte erneut einen Moment, dann zuckte er mit den Schultern. »Also, sie … sie war anders als wir anderen. Sie war – rastlos, kam zu Hause nie zur Ruhe. Sie war viel unterwegs, fuhr als Gymnasiastin mit einem Stipendium ein Jahr in die USA, und nach dem Abitur war sie ein paar Jahre in England als Au pair. London, oder direkt außerhalb. Als sie zurückkam …«
Er hielt inne. Ich wartete.
Er sagte: »Sie … Wir haben es nie richtig rausgekriegt, aber sie war verändert. Rauher geworden. Härter. Früher konnte sie weinen, wenn ihr irgend etwas weh tat. Danach weinte sie nie mehr. Und wir, wir glaubten … hatten das Gefühl, daß sie vielleicht irgendwelche Drogen nahm. Ab und zu war sie so weit, weit weg. Als würde sie in ihrer eigenen Traumwelt leben. Und ihre Augen: Die waren glänzend und glasig – wie bei einer Puppe.«
»Ihr Vater …«
»Mein Vater? Der ist schon lange tot. Aber meine Mutter, die hat das sehr mitgenommen. Es ging ihr wirklich nah. Sie ist nicht mehr die alte, seit Margrete fort ist und wir nichts mehr von ihr gehört haben. Und Brita, meine Frau, sie … Sie hat sich immer so geschämt. Und das habe ich dann auch.« Er flocht die Finger ineinander, und seine Knöchel traten hervor wie Hügel in einer weißen Landschaft. »Über meine eigene Familie. Verderbnis vererbt sich, sagt man. Und Margrete, sie war das Anzeichen von Verderbnis – bei uns. Das Kainsmal auf unserer Stirn, sozusagen. Brita, sie hatte geglaubt, in eine respektable Familie einzuheiraten und eine Familie, zu der die Leute aufsahen, eine der führenden in – Ålesund. Fischereiindustrie. Und dann …« Er machte eine resignierte Handbewegung.
Ich sagte: »Wann ist sie – gegangen?«
Er sagte: »Oh, vor fünf, sechs Jahren, ich erinnere mich nicht genau.«
»Sie ging einfach so?«
»Ja, eines Morgens war sie weg. Nahm ein paar ihrer Sachen mit – und etwas Geld. Nicht, viel. Nur ein bißchen. Später …«
»Ja?«
»Wir haben nie etwas gehört. Ich stellte ein paar Nachforschungen an, auf Mutters Anordnung. Ich hörte, daß man sie in der Drogenszene in Kopenhagen kannte und daß es mit ihr abwärts gegangen war. Aber davon habe ich Mutter nichts erzählt. Das konnte ich nicht. Ich sagte, sie wäre – tot. Daß sie sie einfach vergessen sollte. Aber keiner von uns konnte vergessen. Natürlich nicht. Und jetzt … Jetzt, wo sie wirklich tot ist, da weiß ich nicht, was ich erzählen soll – zu Hause. Auf diese Art und Weise. Ermordet. Und daß sie hier verheiratet war, in Bergen, mit einem bekannten Anwalt. Das wußte ich nicht. Ich habe versucht, zu verfolgen, wo sie sich aufhielt. Aber sie war aus Kopenhagen verschwunden, und niemand wußte, wohin sie gegangen war. Und dann … Es ist so unwirklich. So … verwickelt. Mutter und Brita, sie werden …« Sein Blick schweifte in die Ferne, während er daran dachte, was Mutter und Brita mit ihm machen würden.
»Wie haben Sie erfahren, daß sie in der Drogenszene in Kopenhagen bekannt war?«
Er sah auf. »Oh, das. Ich habe Geschäftsfreunde da unten. Einer von ihnen hatte Kontakte zur Polizei, und ich bat ihn … Da hatten wir schon Gerüchte gehört. Viele Leute reisen ja nach
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