Das Haus mit der grünen Tür
und er hat viel aufzuarbeiten.«
»Seine Frau ist gestern gestorben, völlig unerwartet, aber er hat viel aufzuarbeiten.«
Sie sah mich herablassend an. »In gewissen Berufen muß man ein Schauspieler sein, Herr Veum. Auf die Bühne steigen und singen und tanzen, auch wenn jemand, der einem nahestand, am Tag zuvor gestorben ist. Die Mühlen der Justiz mahlen gleichmäßig und sicher. Die Termine für Verhandlungen und Plädoyers und Ausschußsitzungen und Konferenzen sind lange im voraus festgesetzt. Mobergs Klienten vertrauen ihm. Darauf, daß er ihnen hilft. Daß er sein Bestes tut. Ohne persönliche Rücksichten. Deshalb …« Sie hielt inne, schluckte und dachte an diesen ganzen Mann, der ihr Chef war. Ich fühlte mich klein im Vergleich. Aber nicht so klein, daß ich nicht sagen konnte: »Fünf Minuten wird er vielleicht übrig haben?«
Sie schluckte wieder. Es lag ein schimmernder Schleier über ihren Augen, wie Morgennebel am Hang unter einem Gletscher. Sie sagte: »Ich werde fragen.«
Sie schwebte zu Moberg hinein und schloß die Tür fest hinter sich, die sich schneller wieder öffnete, als ich gedacht hatte. Sie sprang auf, und es war Moberg, der sie öffnete. Er stand in der Türöffnung, in grauem Anzug mit weißem Hemd und schwarzem Schlips. Er war nicht ganz so farbenfroh wie bei unserer letzten Begegnung, aber er erinnerte mehr denn je an einen ehemaligen Turner. Er kam mir dynamisch entgegen, und er redete die ganze Zeit. Hinter ihm stand seine Sekretärin, Fräulein Varde. Etwas, das an Tränen erinnerte, lief ihr aus beiden Augen.
Moberg sagte: »Was zum Teufel noch mal machen Sie hier, Veum? Ich habe heute stundenlang mit drei todlangweiligen Polizisten herumgesessen und Spitzfindigkeiten und Spekulationen ausgetauscht. Ich will kein Geheimnis daraus machen: Ein Großteil des Gesprächs drehte sich um Sie, Veum. Ich habe noch immer einen schlechten Geschmack im Mund. Ich will Sie nicht sehen.« Er war direkt vor mir stehengeblieben, starrte mir wütend in die Augen und pumpte den Brustkasten auf, als wolle er mich rausschmeißen. Er wiederholte: »Ich will Sie nicht sehen.«
Aber er sah mich. Ich spannte für alle Fälle die Bauchmuskeln an. Ansonsten rührte ich mich nicht. Ich sagte: »Fünf Minuten, Moberg. Fünf Minuten – mit einem Mitverschwörer. Wenn nicht, gehe ich direkt zu den Bullen und erzähle, was ich herausgefunden habe.«
Er regte sich wieder ein wenig ab. Dann sah er rasch über seine Schulter, um zu sehen, wo die Sekretärin war, wieviel sie hören konnte. Keine Gefahr. Sie wischte sich mit einem niedlichen kleinen Taschentuch die Augen, so daß sie noch mehr glänzten als vorher. Er sagte: »Gut, Veum. Fünf Minuten. Hilde«, sagte er an seine Sekretärin gewandt. »Ich gebe Veum fünf Minuten. Von jetzt an. Komm rein, wenn die Zeit um ist.«
Moberg und ich gingen ins Büro. Hilde Varde ging hinaus. Es blieb wenig Zeit, und ich kam zur Sache. »Was weißt du von einem Typen, der sich Kvam nennt, Moberg? Henning Kvam.«
Er war noch immer in Bewegung, im Begriff, sich hinter seinen Schreibtisch zu setzen, aber er hielt in der Bewegung inne und landete langsam auf dem Stuhl, wie ein Fallschirmspringer bei einer perfekten Landung. Er sagte: »Kvam? Henning Kvam? Was hat das hiermit zu tun?«
»Henning Kvam, ja. Du hast ihn einmal verteidigt.«
Er setzte fünf gepflegte, manikürte Finger gegen fünf gepflegte manikürte Finger und sah mich an. »Möglich. Aber ich verstehe immer noch nicht …«
»Du hast ihn verteidigt. In einer Rauschgiftsache. Das Urteil fiel mild aus, wie bei so vielen deiner Klienten.«
»Hör zu, Veum. Du weißt nur zu gut, daß ich der Schweigepflicht unterliege, wenn es um …«
»Zum Teufel, Mann! Deine Frau ist gestern getötet worden – ermordet. Und du sitzt hier und redest von Schweigepflicht.«
»Also gut. Okay. Ich habe ihn in einer Rauschgiftsache vertreten. Er bekam ein mildes Urteil, was ihm auch zustand. Punktum. Was hat das mit – Margrete – zu tun?«
»Kvam war drogenabhängig. Deine Frau war –«
» War, ja! Früher einmal. Sie war seit mehreren Jahren davon los.«
»Seit wie vielen? Zwei – drei – zehn?«
»Sie war davon los. So habe ich sie kennengelernt. Ich habe mich sehr stark für Rauschgiftfälle interessiert in der Zeit – für die Opfer: die Abhängigen. Der Drogenmißbrauch war ein Trend der Zeit, den ich gerne stoppen wollte – auf meine Weise. Ich war der Meinung – und bin es noch –, daß man klar
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