Das Haus mit der grünen Tür
nirgends einen Job gefunden hatte. Und daß sie sechzehn war, seit zwei Monaten. Vorläufig fragte ich nicht, wie lange sie schon hinter der grünen Tür arbeitete. Wenn es mehr als zwei Monate waren, konnte sich Kvam auf einen weiteren Anklagepunkt gefaßt machen.
Ich sagte: »Aber wie bist du an den – Stoff gekommen?«
Zum ersten Mal wandte sie ihren Blick von der Spritze zu mir. Sie sagte: »Im Frühling. Eine Freundin, wir konnten ein bißchen Hasch kaufen bei, in einem Haus – hier drüben, von dem sie gehört hatte. Es war billig, nich teurer als Bier. Und dann war das so komisch. Es war nich genug mit dem Hasch, wir brauchten – was anderes, mehr. Ein Junge, den ich kenn, der sagte, der sagte, sie würden stärkere Sachen – ins Hasch … ins Hasch mischen. Um uns abhängig zu machen. Er sagte, ich sollte zu – zu – aber es war zu spät. Und dann wurd’s teuer. Ganz wahnsinnig teuer. Wir – er, der Mann, er sagte, wir könnten – Sachen für ihn machen, und dann würden wir – den Stoff kriegen, gratis. Was für Sachen? Du weißt schon, hat er gesagt. Es war eklig. Aber ich brauchte es doch. Und ich hatte ja vorher schon mal, deshalb war’s nich … Aber die waren so alt, viele von ihnen. So – eklig, so – eklig.« Ihr Gesicht war jetzt fast nicht wiederzuerkennen. Es war zu einer grotesken Fratze verzerrt, und sie schielte von der Spritze zu mir. Tränen strömten ihr aus den Augen. Ihre Nase lief. Der Speichel rann ihr aus dem Mund, und ihre Stimme war so dünn, so dünn. »Bitte«, bat sie. »Bitte, bitte. Gib mir die Spritze. Ich muß, ich muß! Hör mal, du bist, du bist nich so, ich werd alles tun, was du – ich werd – alles tun, ich lutsch dich, wie du noch nie – ich hab eine Freundin, du kriegst uns beide, gleichzeitig – ich werd – wir – wenn du, wenn du bloß …«
Also gab ich ihr die Spritze.
Es hat keinen Sinn, so anzufangen. Nicht unter einer ausgetretenen Treppe in einem schäbigen Hausflur. Du schmeißt keinem kleinen Kind den Weihnachtsbaum ins Gesicht, das die Geschenke schon gesehen hat.
Ich sagte: »Du brauchst nichts zu tun, du kriegst sie so. Hier.« Und ich gab ihr die Spritze.
In ein paar Tagen würde sie sowieso eingewiesen sein. Sie hatte einen weiten Weg vor sich, und ich wußte nicht, ob sie ihn überstehen würde. Es war ein Weg, der durch einen schwarzen und grausigen Wald führte, einen Wald voll von den ekligsten Erscheinungen und den aufreibendsten Alpträumen. Aber ich wußte, daß sie, wenn sie durch den Wald hindurchkäme und auf das offene Feld darüber, die schönste Landschaft überblicken würde, die sie je gesehen hatte. Und sie würde sie klarer sehen als irgend jemand anderes, weil es etwas war, das sie längst hinter sich gelassen hatte. Ein Wiedersehen, auf das zu hoffen sie aufgegeben hatte.
Dann ließ ich sie die Spritze setzen. Ich sah den Sternenglanz in ihren Augen, den Bogen ihres Körpers, das Zittern – und ich sah den leeren, staunenden Blick, hinterher. Eine wundersame Form von Glück. Eine wundersame Form von Leben.
Nachdem sie sich wieder gefangen hatte, brachte ich sie nach Hause. Sie wohnte ganz in der Nähe, auf dem Weg in Richtung Nygårdshøyd. Ich sah sie ins Haus gehen und wartete eine ganze Weile draußen. Sie kam nicht wieder heraus. Und niemand hatte den Notarzt gerufen. Alles war wie gewöhnlich, und ich verließ die Straße. Wieder nahm ich Kurs auf das Haus mit der grünen Tür.
32
Diesmal kam ich offiziell und klingelte also.
Ich wartete.
Dann tauchte drinnen im Halbdunkel die fiese Visage Teddy Lunds auf. Er starrte mich durch die Glasscheibe an, mit einem leichten Lächeln, das seine Verwunderung nicht verbergen konnte.
Er öffnete die Tür und füllte die Öffnung aus. »Was willst du?« sagte er.
»Seit wann duzen wir uns?« antwortete ich.
»Willst du einen in die Fresse?«
»Immer mit der Ruhe, Teddy. Deine Zeit wird kommen. Es ist schon lange her, daß du im Eldorado geboxt hast, alter Freund. Deine Schlagkraft ist nicht mehr so groß. Wir erholen uns gegen Morgen wieder. Geh rein und trainier mal ein bißchen, dann sprechen wir uns später. Ich will mit Kvam reden.«
Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen. Dann wurde ihm der Inhalt meines letzten Satzes bewußt. Er schlug die Tür vor mir zu, und ich sah, daß er zu A/S Hjemmehjelp hineinging.
Er blieb dort eine Weile, und ich wartete geduldig. Schließlich kam er wieder heraus. Er öffnete die Tür und trat zur Seite. Ich ging rasch an
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