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Das Hausbuch der Legenden

Das Hausbuch der Legenden

Titel: Das Hausbuch der Legenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Adolf Narciss
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Kassidoras. Der Häretiker beschimpfte den Rechtgläubigen und setzte ihm auf jede Weise zu, denn er wollte ihn zu seiner Irrlehre bekehren. Er überschüttete den anderen immer wieder mit einem Schwall von Worten, und manchmal sah es so aus, als ob er ihn überzeugt hätte.
    Eines Tages bat der Rechtgläubige den Ketzer, ihm doch ein Stück von seinem heiligen Brot zu schicken. Der Prediger des Severus hatte keine Bedenken, den Wunsch sofort zu erfüllen, ja, er glaubte allen Ernstes, schon gewonnen zu haben. Der Rechtgläubige aber ließ einen Topf mit Wasser aufs Feuer setzen, brachte es zum Sieden und warf das Brot hinein. Es wurde wie jedes andere Brot in dem heißen Sud aufgelöst. Nun nahm er eines der heiligen Brote seiner rechtgläubigen Kirche und legte es in denselben Kessel. Das Wasser hörte sofort auf zu sieden und kühlte ab. Das Brot blieb völlig unversehrt, ja, es wurde nicht einmal naß. Er zeigte es noch Jahre später jedem, der vorbeikam.

    Das große Wunder des Erdkreises

    SYMEON STAMMTE aus Sis, einem Dorf an der Grenze von Kilikien, wo er 386 nach Christus geboren wurde. Theodoret, der ihn noch persönlich gekannt hatte, nannte ihn einen gewaltigen Mann, »das große Wunder des Erdkreises«, von dem alle Untertanen des Römischen Weltreiches wissen, den sie bewundern, verehren, um seine Fürbitte anflehen oder verurteilen. Als Symeon ein Knabe war, hatte er die Herden seiner begüterten Eltern zu hüten. Er war dreizehn Jahre alt, als es so stark schneite, daß die Herden nicht auf die Weide getrieben werden konnten. Die ganze Familie nutzte die Muße und ging in die nahe Stadt zum Gottesdienst. Dort hörte Symeon eine Predigt über die sieben Seligkeiten, die in ihm zum ersten Mal die Frage nach dem Sinn und dem Ziel des Lebens aufrührte. Er erfaßte den tieferen Sinn der Worte Christi nicht, doch er bat einen alten Kirchgänger, ihm zu erklären, worüber gepredigt wurde. Der Befragte sprach mit ihm über die Enthaltsamkeit, über den schweren Weg bis zum Genuß der sieben Seligkeiten und über die hohe
    Vollkommenheit, die einer erlangen kann, der als Einsiedler sich dem Dienste Gottes widmet.
    Symeon hatte bei seinen Herden genug Zeit, diesen Fragen nachzudenken. Eines Tages besuchte er einen der
    Märtyrertempel, um dort zu beten. Er warf sich zu Boden, die Stirn auf der Erde, und betete und weinte sieben ganze Tage.
    Dann schlief er vor Erschöpfung ein. Im Traum mußte er eine Grube für Fundamente ausheben, es wurde eine große und sehr tiefe Grube. Immer, wenn er müde wurde und den Spaten hinlegen wollte, rief ihn eine Stimme wieder auf, ohne Pause weiterzugraben. Das wiederholte sich drei- oder viermal. Dann sagte die Stimme, die schwerste Arbeit sei jetzt getan, alles andere sei leichter.
    Nun war Symeon aufgestört, er wurde ruhelos, er gab das Hirtendasein auf und suchte für sich selbst einen Hirten. Er fand ihn in Heliodorus, dem Abt eines Klosters bei dem Dorf Teleda. Der Abt nahm den jungen Menschen widerstrebend auf. Das stachelte nur den Ehrgeiz des werdenden Asketen an, mehr und grausamer zu büßen als seine achtzig Mitbrüder.
    Jetzt lernte er selbst die Schrift lesen. Überall fand er die Worte, die seiner Auffassung von einem entsagungsvollen und heiligen Leben entsprachen. Da stand im zweiundzwanzigsten Psalm: »Ich bin ein Wurm und kein Mensch, ein Spott der Leute und Verachtung des Volkes. Alle, die mich sehen, spotten meiner, sperren den Mund auf und schütteln den Kopf.
    Ich bin ausgeschüttet wie Wasser, alle meine Gebeine haben sich zertrennt; mein Herz ist in meinem Leibe wie
    zerschmolzenes Wachs. Meine Kräfte sind vertrocknet wie ein Scherben, meine Zunge klebt an meinem Gaumen, und Du legst mich in des Todes Staub.« Symeon versuchte, seine Mitbrüder in den Andachtsübungen zu überbieten. Wenn sie nur alle zwei Tage Nahrung zu sich nahmen, fastete er eine ganze Woche. Er hob in einer Ecke des Klostergartens eine fast mannshohe Grube aus und blieb darin stehen, in der Sommerhitze, in der schneidenden Winterkälte.
    Wenn seine Brüder ihr nächtliches Gebet beendet hatten und schlafen gingen, stellte er sich auf ein rundes Holz und betete weiter, und jedesmal, wenn er anfing zu träumen, verlor er das Gleichgewicht und fiel zu Boden. Die Ältesten des Klosters und seine Brüder machten ihm Vorhaltungen, weil seine Lebensweise die Ordnung des Klosters empfindlich störte.
    Aber Symeon ließ sich nicht überzeugen, er verminderte seinen Eifer nicht. Das

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