Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Heerlager der Heiligen

Das Heerlager der Heiligen

Titel: Das Heerlager der Heiligen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Raspail
Vom Netzwerk:
am Limpopo versammelten Afrikaner vertreten war oder bei den braunen Massen, welche die Straßen Londons oder New Yorks beherrschten, oder bei den Massen der Araber und Neger, die aus ihren Kellern in Paris auftauchten. Die Toten von Gata waren für sie die vernichtete weiße Rasse. Sie zählte schon nicht mehr. Sie hätte wie durch ein Wunder aus der Asche auferstehen müssen, damit man erneut auf sie hätte aufmerksam werden können. Am französischen Strand jedoch kündigte sich nichts dergleichen an.
    Dies wurde noch deutlicher, als die Menge bei ihrem zweiten Vorstoß den Brei aus Sand und Blut, der die Mönche und Knirpse bedeckte, hinter sich hatte und auf ihrem Weg zwei schwarz gekleidete Männer traf, die sie zu erwarten schienen. Genau gesagt, streckte einer von ihnen, ein Greis, der Menge eine goldene Monstranz entgegen, während der andere mit gefalteten Händen betete. Die beiden Männer waren Dom Melchior de Groix und der Pfarrer Pierre Chassal. Die Menge zeigte keinerlei Neugier. Sie hielt sich auch keine Sekunde auf, noch war sie irgendwo überrascht. Sie sah überhaupt nichts. Weder die in der Sonne glänzende Monstranz, noch die unterschiedliche Kleidung dieser Männer, noch ihre weiße Hautfarbe. Wenn sie auf den Knien gelegen wären, hätte sie das Los der Mönche getroffen. Da sie aber aufrecht standen und beim Zusammenstoß mit den ersten Reihen der zerlumpten Gestalten nicht schwankten, wurden sie von der Masse der Körper einfach umspült, eingeschlossen, gefangen und ohne Aufhebens fortgetragen und dabei nicht mehr und nicht weniger gequetscht wie jeder andere in dieser Masse. Sie wurden somit auch Einwanderer vom Ganges, ohne daß selbst ihre nächsten Nachbarn im Getümmel erkannt hätten, wer sie wirklich waren.
    Die beiden hatten auch keine Zeit zum Nachdenken gehabt, insbesondere, ob Haltung oder Glaube den Vorrang genießt, denn beide wurden gleichzeitig hinweggefegt. Nur eines konnten sie noch in der Verwirrung erkennen – den Wahnsinn ihrer Illusionen. Sie hatten dagestanden, hatten der Menge die Hostie entgegengehalten und hatten gehofft, daß diese Menge auch stehenbleibt, und wenn auch nur eine Sekunde lang. Diese hätte sie vor dem Martyrium für alles entschädigt. Die erhoffte Sekunde dauerte aber nicht eine milliardstel Sekunde, sogar kein Milliardstel von einer milliardstel Sekunde. Und dies kam ihnen voll zum Bewußtsein. Als nun Dom Melchior von allen Seiten eingezwängt die Herrschaft über sich verlor, ließ er die Hostie los. Sie fiel dem Menschenhaufen unter die Füße wie ein Ball im Gemenge eines Rugbyspiels. Dom Melchior spürte sofort die Leere zwischen den verkrampften Händen.
    Im Strom der Menge, welche sich an einer Wegkreuzung teilte, wurden beide Geistliche voneinander getrennt. Sie sahen sich nie wieder, und keiner weiß, was aus ihnen geworden ist. Man kann nur vermuten, daß der alte Abt mit der Mitra nicht weit vom Strand vor Müdigkeit und Aufregung gestorben ist und daß Pierre Chassal lange ziellos umhergeirrt ist, wie eine leere, entwurzelte Seele.
    Auch heute noch irrt in diesem trüben, stumpfsinnigen, unfähigen und geistig armen Dasein eine kleine Zahl jener Überbleibsel der Vergangenheit umher und entgeht gleichsam der neuen Ordnung. Wie in den politischen Gefängnissen nach jeder Revolution, so findet man unter ihnen eine Vielzahl von angesehenen Persönlichkeiten wie Industrielle, Generäle, Präfekten und Schriftsteller, aber auch eine kleinere Anzahl von Menschen aus dem Volk, welche früher die Aristokratie, später das Bürgertum immer in ihrem Kielwasser mit sich zog, weil sie ein Gefolge brauchten und weil eben auch bei kleinen Leuten das Bedürfnis, anders zu sein, vorhanden war.
    Die neue Ordnung brauchte keine politischen Gefängnisse mehr. Die Gehirne sind für hundert Jahre, ja sogar für tausend Jahre gewaschen. Daher duldet die neue Staatsgewalt diese Sonderlinge, als ob es sich um eine Art Pennbrüder handeln würde. Sie sind nicht gefährlich, treten auch für nichts ein. Man hat höchstens den Eindruck, daß sie sich in einer Art Verwirrung ablehnend verhalten. Sie vermehren sich auch nicht mehr. Es sind sowieso nur lose Scharen. Sobald mehr als vier oder fünf im Vorhof einer Kirche oder im Schatten der Platanen eines öffentlichen Platzes auftreten, gehen sie nach einem stillschweigenden Abkommen wieder wortlos auseinander, da sie jede Versuchung zu einer Gemeinschaftsbildung meiden. Da sie äußerlich weit übler als die

Weitere Kostenlose Bücher