Das Heerlager der Heiligen
Admiral.
Drei Minister verbargen ihr Gesicht in den Händen. Ein anderer klopfte sich an die Schläfen. Zwei gerieten vor Zorn außer Atem. Drei weitere rieben sich den Kopf. Einer weinte sogar. Dieser brach das betretene Schweigen und wandte seine tragische Maske des königlichen Beraters langsam der Ratsversammlung zu.
»Sind wir die französische Regierung«, sprach er, »die sich in einer außergewöhnlichen Stunde beim Herrn Präsidenten der Republik eingefunden hat, um ein seit dem tiefen Mittelalter nicht mehr dagewesenes Drama menschlich zu lösen, und zwar in einer ehrbaren Weise, wie sie am Ende der großen materialistischen Veränderung der Mensch sich selbst schuldig ist? Oder sind wir nur ein Dorfgemeinderat, der sich beim Bürgermeister versammelt hat, um auf bäuerliche und bornierte Art einen Beschluß schärfer abzufassen, der den Aufenthalt von Zigeunern im Gemeindebereich regelt?« Der Mann, der so sprach, war Herr Jean Orelle.
Der Präsident hatte boshafterweise Lust, diesen Angriff zu unterstützen. »Sieh mal an«, sagte er, »das ist genau der Kummer, den ich im Rat beim Generalstreik im vergangenen Jahr und auch bei der letzten Franc-Abwertung hatte. Sind wir die französische Regierung?« Zufrieden sagte er: »Fahren Sie fort, Herr Minister.«
Es pfiff der Wind der Geschichte, der die blinden Flotten, die prophetischen Nationen, die kämpfenden Heere, die vom Geschrei trunkenen Völker und die Gottesreiche zu jenen ruhigen Tiefen führt, wo sich am Ende die wildesten Stürme beruhigen. Dieser Wind richtete auch die Oberkörper rings um den Tisch im Elysée-Palast wieder auf, ließ das Kinn wieder erheben und öffnete die Blicke auf das menschlich Unendliche. Wenn man wenig im Kopf und das Herz auf dem falschen Fleck hat, muß man wenigstens eine Seele erfinden, um alle Gemeinheiten zu ertragen. Nur der kleine Staatssekretär lachte mit spöttischer Miene in seiner Ecke. Keiner dachte jedoch an ihn, vielleicht seltsamerweise nur der Präsident.
»Frankreichs Genialität«, fuhr Minister Jean Orelle fort, »hat das Land stets durch das zeitgemäße Ideenlabyrinth hindurchgeführt, wie ein Flaggschiff, das instinktiv den Weg findet, sich mit gehißter Flagge und mit erkennbarem Kurs an die Spitze der Flotte der aufgeklärten Nationen setzt und die nötigen Manöver anzeigt, um den Stürmen zu begegnen, welche die Menschheit hochwirbeln, die sich in den Klauen heftiger Fortschrittsströmungen befindet …«
Und die Denkmaschine zum Surren bringt – Orelle garantiert dafür – der letzte Schrei moderner Technik, die vernickelte Intelligenz, das Gehirn aus Plastik zum Schutz gegen den Rost des Zweifels, das Serienherz, das kostenlos die blöden sechzig Schläge pro Minute macht, das vollkommene Modell für höhere Vorgesetzte, das mit Luxus ausgestattete Modell für gesellschaftliche Millionäre und Zeitungsbosse.
»Meine Herren«, sprach der Minister, »was soll es schon, wenn diese Flotte, die sich wie ein im Sterben liegender Vorwurf mit den letzten Kräften einen Weg durch unser Gewissen bahnt, den westlichen Ufern zustrebt und an der Küste Frankreichs, Englands oder Deutschlands landet. Alles in allem müßten die betroffenen Länder ernsthaft die ewige Frage hören, die letztmalig und auf tragische Weise gestellt wird: Kain, was hast du mit deinem Bruder gemacht? Glauben Sie nicht, meine Herren, daß Frankreich hier brüderlich antworten müßte, indem es schon jetzt einen Aufnahmeplan vorschlägt, der unserem materiellen und moralischen Reichtum entspricht? Wenn der Augenblick gekommen ist, müssen wir die Zeichen erkennen und unsern Egoismus besiegen!«
Ah, was für ein schönes Lied! Wie doch das Volk sich in die Brust wirft, wenn es nur ums Singen geht! Mit nichtssagenden Refrains. Dabei versteht es heutzutage sehr gut, so zu tun als ob, unter Fanfarenklängen auf der Stelle zu treten, auf die Straße zu gehen und für irgend etwas zu revoltieren, ohne daß auch nur ein Toter jemals das Pflaster heiligt, und nicht zuletzt sich großen Illusionen hinzugeben bei wenig Kosten. Die beratenden Minister stimmten rasch zu. Ein Plan? Wie denn? Setzt man nicht die aufhorchende Welt in Erstaunen?
»Heißt das nicht, die Dinge unnötig übers Knie brechen?« meinte der Präsident.
»Im spontanen Entschluß zeigt sich der Edelmut!« erwiderte der Minister. »Frankreich muß …«
Mit erhobener Stimme sagte der Präsident: »Frankreich muß wirklich.« Schweigen im Raum.
»Frankreich
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