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Das helle Gesicht

Das helle Gesicht

Titel: Das helle Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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den, meine ich, den sie für die Einrichtung der Ranch hier angenommen hatten. Der Vorige wollte nicht auf Indianerland arbeiten; er haßte das ›farbige Pack‹. Diesen aber mußten sie fortjagen, weil er gestohlen hat. Sie suchen also dringend ein bis zwei zuverlässige Leute; Joan haben sie bis auf weiteres als Cowgirl, sie läßt vielleicht ihre Kinder herkommen. Der zweite wärst du, Hanska.«
    »Ich mache ihm den guten Nachbarn, wenn’s mir auch schwerfällt, aber den Cowboy ohne Land mache ich ihm nicht.«
    »Es sind keine reichen Leute, waren kleine Rancher, wie sie von den großen Ranchers niederkonkurriert und ruiniert werden. Haben sich sozusagen hierher geflüchtet, wo die Pacht so billig ist.«
    »Und wo man uns ruinieren und niederkonkurrieren kann. Aber da wird sich der Myer-Clan irren. Die Kings haben ja auch noch Joes Büffel im Hintergrund.«
    »Ja, ja, ihr werdet euch behaupten. Aber nun laß uns nach den Zeltplanen sehen.«
    Ite-ska-wih hatte gelauscht und alles, was Bob berichtete, unmittelbar in Menschengestalt, in Stimmen, in Gesten umgesetzt. Aber jetzt verschwand Familie Rufus Myer und selbst das alte Blockhaus aus ihrem Vorstellungskreis. Nur das Zelt Inya-he-yukans des Alten bestand in ihrer Einbildungskraft, das große Häuptlingszelt mit den vielen hohen Fichtenstangen, den schweren Büffelhautplanen, die jedem Unwetter standhielten, im Winter wärmten, im Sommer die Hitze abhielten; das Tipi mit der Windklappe an der Spitze und dem leise knisternden Feuer im Innern, das Tipi, das von alten Geheimniszeichen geschützt war. Darin hatte Mattotaupa mit seiner Familie gewohnt, sein Sohn Harka war darin aufgewachsen; dieses Tipi war die Heimat gewesen, die er auf dem schweren Zug nach Kanada mitgenommen und das ihn dort beschützt hatte, damit war er zurückgekehrt und hatte es seinem Wahlsohn Inya-he-yukan dem Jüngeren als Erbe hinterlassen. Mit der Luft und dem Duft dieses Tipis wehte seinen Bewohnern ein Hauch der freien Prärie und indianischen Glaubens und Mutes zu. Ite-ska-wih stand ehrfürchtig vor dem großen Lederpacken. Neben ihr stand Hanska; er legte den Arm um ihre Schultern.
    »Willst du jetzt aufrollen?« fragte Bob.
    »Nein. Nein. Ich muß es erst verwinden. Morgen, Bob.«
    In Hanskas Stimme klang etwas mit, was Ite-ska-wih wie ein Schlag traf. Aber ihr Gefühl verbot ihr zu fragen.
    Alle gingen schlafen. Ite-ska-wih und Hanska lagen, in eine Decke gewickelt, am Boden. Es war ihnen warm und weich genug; sie schlummerten ein und träumten Gutes.
    Die Sommernächte waren kurz. Hanska und Ite-ska-wih wachten früh auf, eilten hinaus und schauten die blutrote Sonne am Horizont der gilbenden Prärie, sie hörten die Rinder, sie fühlten den Morgenwind, der frisch und kühl wehte und sie vollends wach machte.
    »Jetzt ist es Zeit«, entschied Hanska. Sie gingen miteinander zurück ins Haus in den Raum, in dem am vergangenen Abend der Lederballen gelegen hatte.
    Bob war dabei, die bemalten Lederplanen auszubreiten.
    Ite-ska-wih schauerte zusammen.
    »Sie sind es also nicht«, sagte Bob mit einer Stimme, aus der der Klang herausgezogen war. »Ich wußte es schon am Abend.«
    Hanska widersprach nicht. Er war verlegen und traurig.
    »Das echte Zelt hat der diebische Cowboy gestohlen«, erklärte Bob stockend. »Myer hat ihn gezwungen, Ersatz herbeizuschaffen. Den seht ihr hier. Allerdings…«
    »Sag nichts weiter«, bat Hanska.
    Ite-ska-wih stand wie ein Stein da. Ihre lebendigen Träume waren erstarrt, erstorben. Sie mußten erst wieder schmelzen, sich verwandeln und fortwehen zu jenen Bergen und Wäldern, um die der Wind rauschte und unter deren Wurzeln und Steinen Inya-he-yukan ruhte, fern allen gierigen schmutzigen Händen. Hanskas junges Gesicht war in den vergangenen Monaten härter und älter geworden. Ein bitterer Zug kam hinzu. Schon als Kind hatte er das Tipi Inya-he-yukans geliebt, das er nun nie mehr sehen würde.
    Ite-ska-wih erinnerte sich der Worte des Siksikau Rote Krähe. Ein guter Geist begleitete sie, ein persönlicher Schutzgeist, mit dem sie reden konnte, der sie nie verlassen würde. Sie sprach mit ihm und bat ihn, ihr die Kraft zu geben, durch die sie für eine Stunde mit ihm eins werden und sich selbst als ihr eigener Schutzgeist betrachten konnte.
    Lang, so schien es ihr, hatte sie nichts von diesem Tipi des alten Inya-he-yukan gewußt. Dann war es in ihr Träumen und Fühlen hereingerückt durch Hanskas und Waseschas Erzählungen in dessen Zelt, und

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