Das Herz aus Eis
in ihm der Gedanke fest, daß darin die Lösung verborgen lag und er eventuell auf einen Schlag reich werden könnte. Denn daß es sich um Geld handeln mußte, war Lumubra sonnenklar.
Vorsichtig richtete er sich auf und blickte hinüber. Villeria hatte sich auf die rechte Seite gewälzt und schlief fest. Die Satteltasche lag offen neben seinem Kopf.
Leise, katzengleich kroch der Mestize heran. Tastend und die Tiefe des Schlafes prüfend, berührte er den Kopf Villerias und lächelte zufrieden, als er keinerlei Reaktion bemerkte. Mit beweglichen, flinken Fingern öffnete er den Verschluß der Tasche und zog mit einem leichten Ruck das in Ölpapier verschnürte Päckchen heraus. Dann wartete er einen kurzen Augenblick, ob Villeria nicht doch noch erwachte, kroch wieder zum Feuer und knüpfte die einfache Verschnürung auf. Das Ölpapier des Päckchens fiel auseinander …
Enttäuscht starrte Lumubra auf den Inhalt und schimpfte sich einen Vollidioten. Das Päckchen enthielt eine Reihe von Aufnahmen der bekannten Filmschauspielerin Valeria Thurner, etliche Zeitungsausschnitte vom vorigen Jahr, ebenfalls mit Bildern Valerias und anderer Schauspieler, sowie eine Sammlung ausgeschnittener Artikel, die Lumubra nur schlecht wegen seiner mangelnden Englischkenntnisse entziffern konnte. Doch soviel verstand er, daß es sich um einen ungeklärten Mord an der Schauspielerin Valeria Thurner handelte, daß der Täter zwar bekannt, aber flüchtig sei und die Polizei seine Spur aufgenommen habe.
Lumubra warf einen prüfenden Blick auf seinen schlafenden Reisegefährten. Polizei! Verfolgung eines Mörders! Dieser Señor del Villeria war also ein Geheimagent der New Yorker Polizei und folgte der Spur eines Verbrechers! Eine Jagd durch Mexiko – und er, Lumubra, war der Führer dieses Herrn! Er allein hatte es in der Hand, ob der Señor den Täter entdeckte oder nicht! Er, der Mestize Lumubra, der sich vielleicht damit die 1.000 Dollar Belohnung verdienen konnte! Welch ein Unmensch mußte der Mörder sein, der eine solch schöne Frau umgebracht hatte!
Stolz erfüllte den Mestizen. Vorsichtig schnürte er das Bündel wieder, schob es in die Satteltasche zurück und schloß sie, rückte sie nahe an den Kopf des Schlafenden und deckte seinen Herrn fürsorglich mit der verrutschten Wolldecke wieder zu. Dann schlüpfte er unter seine eigene Decke, dachte an die Ehre, die ihm zuteil geworden war, und schlief dann glücklich ein, zufrieden mit seinem Los und mit der Gewißheit, seinem Herrn in Mexiko-City die dunkelsten Viertel zeigen zu können, wo Verbrecher, Hehler, Mörder und Diebe untertauchten.
Majestätisch wölbte sich der Sternenhimmel über dem mexikanischen Hochland. Bizarr stachen die Konturen der Riesenagaven in das nächtliche Dunkel. Ein kicherndes Geräusch störte die kalte Stille.
Der Mestize Lumubra träumte von Mexiko-City.
Die Stadt Mexiko liegt herrlich im Hochland von Anáhuac – weiträumig, teilweise modern, mit breiten Straßen und Komfortbauten, aber auch riesigen Armenvierteln. Durch die Höhe von 2.240 m ist das Klima zwar tagsüber heiß, aber gegenüber anderen mexikanischen Städten gemäßigt und angenehm. Der herrliche Chapultepec -Park und der Alameda -Park, sonntägliche Ausflugsziele der Mexikaner, sowie die schneebedeckten Vulkane Popocatepetl und Ixtaccihuatl geben dieser Stadt ihre pittoreske Schönheit.
Mexiko-City war durch die überstürzte Entwicklung der Jahrzehnte schon damals eine der größten Städte der Erde. Breite Prachtstraßen, öffentliche Plätze, eine Reihe von herrlichen Springbrunnen mitten im Stadtgebiet und großartige architektonische Meisterleistungen in Form von Kirchen und öffentlichen Gebäuden machten die Stadt zum Herzen von ganz Mexiko.
Doch so herrlich die alte Kultur, die breiten Straßen und die komfortablen Neubauten zu betrachten sind – in der Altstadt, auf den Resten der ehemaligen Aztekensiedlung Tenochtitlán, drängen sich die stickigen, winkligen Gassen aneinander, verfallen die Häuser durch Altersschwäche und Schmutz und bröckeln die Lehmmauern weg unter den nächtlichen Schießereien betrunkener Banditen.
Hier, fern der öffentlichen, gepflegten Gartenanlagen und Parks, lag, eingedrückt in den Schmutz der Gasse und angekauert an zwei schmaltürige Dirnenhäuser, die Wirtschaft des Pietro Maurillio. Das einfache Schild ›Taberna‹ konnte nicht darüber hinwegtäuschen, daß diese Kneipe Treffpunkt von Dirnen, Zuhältern und anderen
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