Das Herz der Dunkelheit: Psychothriller (German Edition)
hatte Martinez vor einer Weile angerufen, hatte ihm rasch und behutsam beigebracht, was hier vorgefallen war, und sein Freund, zutiefst bestürzt, hatte ihm gesagt, er würde sich um die Abwicklung der Situation bei Sadies Bootswerft kümmern und mit einem diskreten Anruf Mike Alvarez verständigen – und der Lieutenant hatte Sam bereits angerufen und ihm gesagt, er solle sich als außer Dienst betrachten, hatte ihm versichert, seine Gedanken seien bei ihm und Grace, und wenn sie irgendetwas bräuchten, würde er sein Bestes tun, um ihnen zu helfen.
»Du musst zurück zu Claudia fahren«, murmelte Grace. »Bei unseren Kindern sein.«
»Es geht ihnen gut. Ich habe mit deiner Schwester gesprochen.«
»Aber er ist noch immer dort draußen. Ich habe ihn nicht zur Strecke gebracht.«
»Ich bleibe bei dir«, sagte Sam.
»Wird man dich denn lassen?«
»Nicht während der Vernehmung, aber danach.«
»Wird man mich denn gehen lassen?«
»Gegen Kaution.«
»Heute Abend?«
»Ich weiß nicht.«
»Nicht heute Abend«, sagte sie langsam.
»Hab keine Angst!« Sam drückte sie fester an sich.
»Ich habe keine Angst. Außer vor dem, was ich getan habe. Wozu ich imstande war.« Sie schwieg einen Augenblick. »Und davor, was das für Cathy und Joshua bedeuten wird.«
»Joshua wird gar nichts davon mitbekommen«, sagte Sam. »Dafür werden wir alle sorgen.«
»Eines Tages schon«, widersprach sie. »Wenn ich ins Gefängnis komme.«
»Du wirst nicht ins Gefängnis kommen, Schatz.«
»Woher willst du das wissen?«
»Das werde ich nicht zulassen. Jerry Wagner wird es nicht zulassen. Sie werden die ganze Geschichte hören, und sie werden es verstehen.«
»Nicht einmal ich verstehe es.«
Und dann, ganz plötzlich, standen zwei Männer über ihnen und nahmen ihnen das Licht.
Zwei Detectives vom Miami-Dade-Morddezernat.
Grace hörte ihre Namen, aber sie drangen nicht zu ihr durch.
Nur ein Name ging ihr unaufhörlich durch den Kopf.
Charlie Duggan.
Ihr Opfer.
»Grace.« Sams Stimme, scharf und klar, drang zu ihr durch. »Grace, hör mir zu. Du wirst vermutlich festgenommen werden, und sie werden dich nach Doral mitnehmen.« Er sah sie nicken. »Aber ich will nicht, dass du irgendetwas sagst, bevor Jerry Wagner kommt. Du kannst deinen Namen und deine Anschrift bestätigen, aber sonst nichts. Hast du verstanden?«
»Natürlich. Mach dir keine Sorgen.«
Er küsste sie auf die Stirn und half ihr hoch. Die Detectives warteten, hielten ihn nicht ab.
Sam sagte ihr, dass er sie liebte, und Grace sagte dasselbe zu ihm.
Und dann, auf einmal, begriff sie, was ihr bis jetzt noch gar nicht über die Lippen gekommen war.
»Es tut mir so leid.«
»Ich weiß«, sagte Sam.
58
Grace wurde im Fred-Taylor-Hauptrevier in der NW 25th Street in Doral, westlich des Miami International Airport, von zwei Detectives befragt. Es dauerte, wie ihr schien, eine halbe Ewigkeit.
Sie wurde über ihre Rechte belehrt und verstand sie, aber Jerry Wagner war schon vor ihr eingetroffen und hatte sich als der sie vertretende Anwalt ausgewiesen, und er ließ nicht zu, dass eine Aussage aufgenommen wurde.
»Sagen Sie gar nichts«, sagte er zu ihr.
Ihr Recht zu schweigen, verankert im Fünften Zusatzartikel der Verfassung.
Die Beschuldigung, das wusste sie bereits, lautete auf Tötung mit einem Fahrzeug.
Hässlich, hart, kalt.
Und zutreffend, wie es ihr schien.
»Sie müssen mir sagen, warum Sie es getan haben«, bat Wagner sie vor der Vernehmung.
»Die ganze Geschichte?«, fragte Grace.
Er lächelte. »Zu gegebener Zeit. Für heute Abend reicht mir die Kurzfassung.«
»Ich dachte, er wäre jemand anders.«
»Jerome Cooper«, nickte Wagner.
»Ja.« Grace schwieg einen Augenblick. »Ich dachte, er würde ...«
Sie brach ab, auf einmal unsicher, was genau sie gedacht hatte, dass Cooper gleich tun würde, und ein neues Gefühl von Panik drohte sie zu überwältigen, eine Panik, die sie, wie sie wusste, eher ihrer Familie als sich selbst zuliebe in den Griff bekommen musste ...
Aber inzwischen war sie sich tatsächlich nicht mehr sicher, was sie dort draußen in der Dunkelheit gedacht hatte. Vielleicht, dass er ihr etwas antun würde, sie vielleicht sogar töten würde, und sie hatte schreckliche Angst gehabt – aber das war es gar nicht, was ihre Gedanken in den Sekunden vor Charles Duggans Tod beherrscht hatte. Was in genau jenem Augenblick in ihrem Kopf explodiert war, das war Wut auf den Mann gewesen, da er Pete benutzt hatte, um an sie
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