Das Herz der Dunkelheit: Psychothriller (German Edition)
beendet hatte, was gut und anständig war.
»Warum sage ich was nicht?«, fragte Sam.
»Ich weiß nicht«, sagte sie. »Ich nehme an, vielleicht ›Mein Gott, Grace, was hast du getan?‹. So etwas eben.«
Sam erkannte einen Schock, wenn er einen sah.
Er konnte sich nicht einmal annähernd vorstellen, wie ihr zumute war, obwohl er selbst im Dienst mehr als einmal jemanden getötet hatte und einmal, vor ein paar Jahren, außerhalb seiner Zuständigkeit das Leben von jemandem beendet hatte, der Cathy nahestand, einem Mörder, aber trotzdem ... Cops wurden nach traumatischen Ereignissen im Großen und Ganzen psychologisch gut betreut, und sicher, auch Cops waren nur Menschen, aber Grace ...
Grace lebte dafür, sich um andere zu kümmern.
Und Grace hatte soeben getötet.
Sam spürte, wie sein eigener Schmerzpegel mit jeder Sekunde stieg.
Sie machte noch immer dicht.
»Ich dachte, er wäre es«, sagte sie wieder.
Sie hatte es ihm gesagt, hatte es allen gesagt, immer und immer wieder.
»Ich weiß«, sagte Sam. »Er sah so aus wie er.«
Aber nicht genug, dachte er, als dass auch andere die Ähnlichkeit sehen konnten. Auch wenn er bei Gott hoffte, dass er sich in dem Punkt täuschte.
Grace sah ihn an, sah neue Wunden in seinen warmen Augen.
»Ich komme mir vor wie eine Porzellanpuppe.«
»Ich weiß, dass ich am Leben bin, und ich weiß, was ich getan habe. Ich habe einen Mann kaltblütig getötet. Aber offenbar kann ich es noch nicht fühlen , und ich glaube, darüber bin ich froh.«
Sie saßen auf dem Boden, am Rand der schmalen Straße, Grace mit einer Decke um die Schultern, und Sam hatte einen Arm um sie gelegt. Der Tatort wurde jetzt von Scheinwerfern und Leuchtbalken von Streifenwagen angestrahlt, und Blinklichter erhellten den Toten – Grace’ Opfer –, der noch immer vor ihrem Wagen lag.
Sie zitterte noch immer.
»Können wir uns nicht in deinen Wagen setzen?«, fragte sie.
Sam hatte ihr bereits gesagt, sie könnten sich nicht in den Toyota setzen, da er im Augenblick ein Beweismittel sei, und ohnehin konnte sie sich nicht vorstellen, je wieder in diesen Wagen steigen zu können.
»Ich glaube, das ist keine gute Idee. Es könnte falsch ausgelegt werden.«
»Damit du mir nicht sagst, was ich sagen soll.«
Ihre Stimme klang leblos.
»So ähnlich«, nickte Sam.
»Aber das könntest du auch hier tun«, erwiderte sie.
Er wünschte in gewisser Hinsicht, sie wäre weniger rational, hatte mit jedem Augenblick, der verstrich, mehr Angst um sie.
»Ich nehme an, sie wollen uns ein bisschen Zeit geben.«
»Bevor sie mich mitnehmen«, flüsterte Grace.
»Ich habe Jerry Wagner angerufen«, sagte Sam.
Das durchbrach den Porzellanpanzer, drang in ihn ein wie eine Pfeilspitze.
Jerry Wagner war Cathys Strafverteidiger gewesen, als sie vierzehn war und zu Unrecht wegen Mordes an ihren Eltern und anderer Dinge angeklagt worden war.
»So schlimm?«, fragte sie leise.
»Er ist der Beste, der mir eingefallen ist«, sagte Sam, »und er kennt dich.«
Grace sah wieder in seine verletzten Augen, sah, dass er innerlich zerbrach, und sie wusste, dass sie alles getan hätte, um ihm das zu ersparen.
Zu spät.
»Ich dachte wirklich, er wäre es«, wiederholte sie.
»Ich weiß.«
»Charlie.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich kann mich nicht einmal an seinen Nachnamen erinnern.«
»Duggan«, half Sam.
»Charlie Duggan.«
Der Name, von ihr ausgesprochen, klang wie aus weiter Ferne, so, wie sie sich fühlte. Dissoziiert . Und doch begriff ihr Psychologen-Verstand, unter der Dumpfheit, die von ihr Besitz ergriffen hatte, was mit ihr geschah, denn Dissoziation war eine häufige Reaktion auf ein Trauma, und sie hatte in den letzten Jahren weiß Gott so manchen Schock erlebt.
Aber bis jetzt hatte sie noch nie jemanden getötet.
Ein Mal, vor Jahren, hatte sie den Unfalltod eines Mannes mitverschuldet, als sie selbst Angst um ihr Leben gehabt hatte, und sie hatte noch lange danach unter den Folgen gelitten. Und ein Mal hatte sie töten wollen , kurz, aber heftig, nachdem Cooper Joshua entführt und sie ihr Baby verloren geglaubt hatte.
Aber dieser Mann, dieser Charlie Duggan, war unschuldig gewesen.
Ich wollte nur helfen.
Seine letzten Worte, vor Zeugen ausgesprochen.
»Ich habe ihn getötet«, sagte sie jetzt noch einmal. »Ich habe einen Mann getötet, und ich fühle es noch nicht, aber ich weiß genug, um zu begreifen, dass es mich bald treffen wird.«
Sam berührte ihre Wange. »Ich bin für dich da.«
Er
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