Das Herz der Dunkelheit: Psychothriller (German Edition)
abziehen zu müssen, okay?«
»Das wollen wir auch nicht«, sagte Martinez.
»Sam? Bist du sicher, dass du dazu imstande bist?«, hakte Alvarez nach.
Sam dachte daran, wie viel sichtliches Vergnügen Cooper seine erste Vernehmung offenbar bereitet hatte, dachte an die Auseinandersetzungen, die noch auf ihn zukommen würden, und spürte, wie sich sein eigener rasender Zorn noch ein bisschen mehr steigerte.
Letzte Chance.
»Ich war mir noch nie so sicher.«
102
Am Mittwochnachmittag verkrochen sie sich in ihrem Büro und lasen ihre Ausgabe der Neuen Episteln von Cal dem Hasser von Anfang bis Ende.
Noch zwei Tage bis zu Grace’ Anklageverlesung, und Sam und Martinez machten ihre Arbeit. Sie brüteten über jedem Wort auf der Suche nach Beweisen für die Herzmorde und frühere Verbrechen, aber beide Männer durchkämmten auch jede Seite nach etwas, irgendetwas , das Sam den Zauberstab in die Hand geben könnte, um Grace’ Notwehr zu beweisen.
Jerry Wagner rief um Mittag an.
»Gibt’s irgendwas Neues?«, erkundigte er sich.
Obwohl er genau wusste, dass Sam es ihm nicht sagen durfte, wenn es etwas gab.
Aber er wusste ebenso sicher, dass Sam, wenn er auch nur eine Spur von irgendetwas fand, das er, Wagner, verwenden könnte, eine Möglichkeit finden würde, es den Anwalt seiner Frau wissen zu lassen.
»Noch nicht«, sagte Sam.
Und las weiter.
In vielerlei Hinsicht war es derselbe verkorkste, ausschweifende, halb tragische Schund wie die früheren Schriften. Nur dass sie beim Durchblättern dieser Seiten feststellten, dass der Killer eine Phase schilderte, in der er – falls er annähernd mit etwas wie Aufrichtigkeit schrieb – neue Chancen bekommen hatte. Auf eine Art Liebe, vielleicht sogar einen Neuanfang.
Blossom van Heusen, offenbar nichts ahnend von seinem wahren Charakter, dem Bösen in ihm, hatte offenbar geglaubt, in Cooper etwas Wertvolles entdeckt zu haben. Und er schien in ihr vielleicht die Art Mutter gefunden zu haben, die er nie gehabt hatte.
»Hat ihn nicht davon abgehalten, sie zu vögeln«, sagte Martinez.
»Und ich nehme an, der Hass hat trotzdem gewonnen«, erwiderte Sam.
»Tut er das bei den kränkesten Scheißkerlen nicht immer?«
Ein Punkt, über den sich Sam unter anderen Umständen vielleicht gestritten hätte, der ihm aber in diesem Fall, ehrlich gesagt, scheißegal war.
Nur dass, neben Blossom, noch etwas anderes in den Neuen Episteln stand.
Jemand anderes.
Nur ein einziges Mal erwähnt.
Sie entdeckten es beide fast im selben Augenblick.
»Meinst du, das ist ein Ausrutscher?«, fragte Martinez.
»Ich weiß nicht«, sagte Sam.
Denn der Jerome Cooper, den er ursprünglich kennengelernt hatte, war ein verkorkster Niemand gewesen, mit einer bösen, durchgeknallten Mom, einer echten Vorliebe für das geschriebene Wort, einer noch weitaus größeren Liebe dafür, Schmerz zuzufügen und zu empfangen, und nichts als Gehässigkeit im Kopf.
Dieser Mann hatte ein, zwei Dinge gelernt.
Sam war sich nicht mehr sicher, ob er je Fehler beging.
» Toy hat mich heute besucht und mir ein bisschen Fleisch von seinem eigenen Frischmarkt mitgebracht. Manchmal frage ich mich, wie ich ohne ihn zurechtkommen würde.«
Grace rief ihn um vier Uhr an.
»Ich dachte«, schlug sie zögernd vor, »wir könnten vielleicht ausgehen, nur wir beide, vielleicht in ein Restaurant.«
Sam fühlte sich überrumpelt, froh und beschämt zugleich, da er selbst nicht auf die Idee gekommen war, dass sie etwas so Normales tun wollte, vielleicht tun musste .
»Sehr gern.« Er schwieg kurz, wollte es richtig machen. »Irgendwo in der Nähe von Claudia, irgendetwas Neues vielleicht?«
»Ich dachte ans La Terrazza«, sagte Grace.
Eines ihrer Lieblingslokale, oben in Sunny Isles, ein Restaurant, in dem sie gut bekannt waren.
»Ich habe mich zu lange versteckt.«
Sam lächelte. »Das ist eine tolle Idee!«
»Und wir werden nicht darüber reden«, bat sie.
Er fragte sich, ob sie die bevorstehende Anklageverlesung oder Cooper oder den Nadelstich meinte.
»Über nichts von alledem.«
In gewisser Weise wussten sie beide, dass sie sich etwas vormachten. Es lag nicht an der romantischen Atmosphäre oder an dem Vergnügen, in ein hübsches Restaurant in ihrer Nähe zu gehen, in dem sie in der Vergangenheit so viele glückliche Abende verbracht hatten. Es war einfach so, dass sie, vielleicht nur für einen Abend, eine Möglichkeit gefunden hatten, wieder sie selbst zu sein. Sam und Grace, wie sie so viele Jahre
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