Das Herz der Feuerinsel: Roman (German Edition)
Veranda des Hotels schweifen, bis seine Augen sich dann irgendwo hinter Floortje festsaugten. Vorsichtig drehte sie sich um. An einem der Tische hinter ihr saß jetzt eine Frau in einem sehr tief ausgeschnittenen Kleid in Primelgelb, die wohl gerade eben erst aus dem Hotel auf die Veranda gekommen sein musste; ihr Haar war dunkel, beinahe schwarz; zu dunkel fast für ihren elfenbeinhellen Teint, vielleicht war es gefärbt. In der Hand hielt sie einen kleinen Spiegel und betupfte sich die Lippen mit roter Farbe aus einem Döschen, das auf dem Tisch stand. Der Wagen bog nun gleichfalls in den Gang Thiebault ab; nur wenige Augenblicke später trat der Fahrgast auf die Veranda und sprach die Frau in Gelb an.
Offenbar war das L’Europe ein Treffpunkt für käufliche Frauen und ihre zahlenden Kunden, sie hatte es nur nie als solches wahrgenommen, weil sie stets vollkommen in die Zeitung vertieft und mit ihren Sorgen beschäftigt gewesen war. Das musste ihr ein gleichgültiges bis unnahbares Aussehen verliehen haben, weshalb sie bislang wohl auch von derlei Angeboten verschont geblieben war. Bis heute.
Floortje schoss das Blut ins Gesicht; hastig senkte sie den Kopf und blätterte mit zitternden Fingern ziellos in der Zeitung herum.
»Und, wie wär’s?«, wandte sich der Fremde an ihrem Tisch wieder an sie, hörbare Ungeduld in der Stimme.
Wenn sie es tatsächlich tat – wenn sie gegen Geld mit ihm mitging?
Heimlich musterte sie ihn. Er war noch jung, Mitte zwanzig vielleicht, groß und breitschultrig, wenn auch kein solcher Hüne wie James. Sein flächiges, fast rechteckiges Gesicht war ihr erwartungsvoll zugewandt, sodass sie es eingehend studieren konnte. Das glattgebürstete Haar und der Bart glänzten irgendwo zwischen Blond und Rot, und seine helle Haut war von Sommersprossen übersät. Einen schönen Mund hatte er, und in seinen dunkelblauen, von dichten blonden Wimpern umrahmten Augen glitzerte es verlangend. Durchaus ein Mann, den sie ansprechend fand und vormals als Verehrer in Erwägung gezogen hätte. Und einer, mit dem es vielleicht nicht allzu abstoßend sein mochte. Aber dennoch …
Die Schachteln mit belgischen Pralinen fielen ihr ein, die ihr Rektor van Wyck manchmal geschenkt hatte. Das Paar hauchzarter Strümpfe, die sie in die hinterste Ecke ihres Spinds gestopft hatte, damit niemand sie entdeckte. Und die Geldscheine, die er ihr dann und wann mit einem verschämten Lächeln in die Hand gedrückt hatte. Hier, meine süße Hexe. Kauf dir was Schönes, ich weiß ja, ihr seid zu Hause nicht auf Rosen gebettet. Haarschleifen hatte sie sich davon gekauft, ein billiges Parfum und einen kitschigen Fächer, für den sie als Schulmädchen in Leeuwarden keine Verwendung hatte; nutzloser Tand, der sie dennoch mit Stolz erfüllt hatte, weil er ihr das Gefühl gab, etwas Besonderes zu sein.
Floortjes Wangen wurden heiß, und sie heftete den Blick wieder auf die Zeitungsseite vor ihr. Sie musste mehrmals schlucken und ihre Zunge mit einem Schluck Whiskey anfeuchten, bevor sie einen Ton herausbrachte. »Was schwebt Ihnen da vor?«
»Zwanzig Florin«, raunte er.
Wenn schon, denn schon. »Sechzig.«
Er lachte und lehnte sich vor. »Ich bezahle keine sechzig Florin«, zischte er und schnippte die Asche seiner Zigarette von sich, »für etwas, das ich von einer Malaiin umsonst oder gegen ein Trinkgeld bekommen kann.«
Eine Augenbraue Floortjes hob sich. »Dann gehen Sie doch zu einer Malaiin.« Sie warf den Kopf zurück, stieg unter dem Tisch in ihre Schuhe und griff nach ihrem Hut und der Handtasche. »Danke für den Whiskey.«
»Warten Sie«, sagte er schnell. Seine Zungenspitze tastete über seinen Mundwinkel. »Fünfzig.«
Fünfzig Florin. Auf den Cent genau die ausstehende Summe für ihre Bleibe. Es rettete sie nicht aus ihrer Zwangslage, aber es nähme ihr zumindest für die nächsten Tage die Angst, morgen mit ihren Sachen auf dem Gang Mendjangan zu stehen. Fünfzig Florin. Für nichts anderes als das, was sie mit Rektor van Wyck ohne Bezahlung getan hatte.
Fünfzig Florin .
»Einverstanden.«
Ein Grinsen zuckte auf seinem Gesicht auf; hastig drückte er den Zigarettenstummel aus, langte in seine Hosentasche und zog ein Bündel Geldscheine hervor, von denen er einige abzählte und unter sein noch fast volles Glas schob. »Ich besorg uns nur schnell ein Zimmer.«
Floortje sah ihm nach, wie er ins Hotel eilte. Ihr Mund war einmal mehr staubtrocken, und sie kippte den Rest ihrer Limonade hinunter.
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