Das Herz der Feuerinsel: Roman (German Edition)
Schulter.
»Morgen?«
»Von mir aus«, sagte sie; fast schmerzhaft kehrte mit einem Schlag wieder ein Gefühl in ihren Körper zurück, und sie setzte sich auf.
Mit wackeligen Knien stakste sie wenig später den Noordwijk entlang; obwohl sie sich am Waschtisch frisch gemacht und ordentlich frisiert hatte, fühlte sie sich klebrig und zerrauft. Rudis Geruch hing ihr noch in der Nase und schien an ihrer Haut zu haften. Zwischen den Beinen war sie wund, und bei jedem Schritt sickerte es nass in ihre Unterhose; wenigstens um eine ungewollte Empfängnis musste sie sich keine Sorgen mehr machen. Danke, Tante Cokkie , dachte sie gallig.
Die Geldscheine hatte sie zusammengefaltet und in ihren Ausschnitt geschoben; aus irgendeinem Grund wollte sie sie nicht in ihrer Tasche haben. Doch das Geld brannte auf ihrer Haut, und ihre Wangen waren nicht weniger heiß. Sie war überzeugt, jeder auf der Straße sah ihr an, was sie getan hatte, und unwillkürlich reckte sie das Kinn höher. Ein bisschen schämte sie sich, aber auch nicht mehr als damals bei Rektor van Wyck oder nach jenem Abend auf Rasamala. Im Grunde war es einfacher gewesen, als sie gedacht hatte.
Erschreckend einfach.
26
Die Sonne brannte von einem wolkenlosen Himmel und funkelte auf dem Wasser, das in den Nuancen von sattem Türkis und Jadegrün changierte. Die schwüle Luft brachte alle Farben nur noch stärker hervor, während sie den Umrissen der Boote und Schiffe, die ihre Bahnen durch die Bucht zogen, etwas Weiches, Schmeichlerisches verlieh. Selbst für die Küste Sumatras ein besonders herrlicher Tag, wie bestellt für diesen Sonntag im späten Mai.
Auf den Stufen, die von der Veranda zum Strand hinunterführten, saß Ida, die teils mit Melati, teils mit ihrer heiß geliebten Lola angeregt halb auf Holländisch, halb auf Malaiisch plapperte; obwohl Lola inzwischen reichlich abgenutzt aussah und einen Teil ihrer Füllung verloren hatte, hatte ihr bei Ida nicht einmal die schöne Puppe mit ihren vielen Kleidchen, die sie zu Weihnachten bekommen hatte, den Rang ablaufen können. Hinter den beiden lag Jeroen bäuchlings auf den Holzbohlen; den Kopf in die Hände gestützt, betrachtete er die Grille, die er im Garten gefangen und mit Jacobinas Hilfe zusammen mit einem belaubten Zweig in ein großes, mit durchlöchertem Papier und Gummiband abgedecktes Glas gesetzt hatte. Sein Blick traf sich mit dem Jacobinas, die ihn über ihre Schulter hinweg ansah, und mit hoffnungsvoller Miene ruckte sein Kopf hoch. »Seid ihr fertig?«
»Gleich«, erwiderte Jacobina lachend und wandte sich wieder den Papayas, Rambutans und Carambolas auf ihrem Frühstücksteller zu.
»Immer braucht ihr so lang beim Essen«, maulte der Junge und vergrub das Gesicht erneut in den Händen.
»Das liegt daran«, ließ sich der Major vernehmen, »dass wir größere Mägen haben und langsamer verdauen!«
»Also wirklich, Vincent!« Margaretha de Jong schüttelte den Kopf, blickte aber amüsiert drein, während Jeroen etwas in sich hineinmurmelte, das verriet, wie sehr er sich von seinem Vater gefoppt fühlte.
Ningsih, das junge Mädchen, das für das Servieren der Mahlzeiten zuständig war, trat neben dem Major an den Tisch und hielt mit fragender Miene die Kaffeekanne hoch. Als er nickte, schenkte sie ihm nach. Ihr fast noch kindliches Gesicht angespannt und die fein gezeichneten Augenbrauen konzentriert zusammengezogen, war sie sichtbar darum bemüht, auf keinen Fall danebenzutropfen oder gar etwas zu verschütten. Vom Rand der Veranda aus wachte Ratu mit scharfen Blicken über jede Bewegung des Mädchens, das noch nicht sehr lange in Diensten stand; Jacobina schätzte es auf höchstens vierzehn oder fünfzehn.
»Ein wenig Geduld noch, junger Mann!«, rief der Major seinem Sohn zu. »Es ist noch nicht einmal halb elf!«
»Aber wir wollten doch noch schwimmen gehen!« Jeroen sprang auf und hüpfte auf den Frühstückstisch zu; mit einer Hand hielt er sich an der Rückenlehne von Jacobinas Rattanstuhl fest, mit der anderen stützte er sich auf der Armlehne ab und schwang einen Fuß vor und zurück.
»Machen wir auch«, gab sein Vater zurück. »Der Tag hat ja nun noch ein paar Stunden.«
Jeroen seufzte. Mit einem Ruck wandte er sich an Jacobina. »Hast du schon meinen Zahn gesehen, noni Bina?« Mit einer Grimasse bleckte er sein Milchgebiss und tippte mit der Zunge von hinten gegen den Schneidezahn, der sich in den letzten Tagen gelockert hatte und seither seinen ganzen Stolz
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