Das Herz der Feuerinsel: Roman (German Edition)
mehr in der Tasche, und morgen schon könnte der Wirt im Boers sie auf die Straße setzen, wenn sie die Miete nicht bezahlte.
Floortje war schlecht vor Angst; angespannt kaute sie auf der Unterlippe herum und überlegte, ob sie fünf Florin für ein Lotterielos ausgeben sollte, wie sie in einer Annonce angeboten wurden; vielleicht hatte Fortuna ja Mitleid mit ihr.
»Verzeihen Sie die Störung …« Eine Männerstimme unmittelbar neben ihr ließ sie ruckartig den Kopf heben. »Entschuldigung, ich hoffe, ich habe Sie nicht erschreckt.«
Floortje schenkte dem jungen, blonden Mann im hellen Anzug nur einen flüchtigen Blick und zuckte mit den Schultern; ihr war nicht nach Gesellschaft zumute. Sie vertiefte sich wieder in die Annoncen, womöglich hatte sie doch eine Anzeige übersehen.
»Darf ich mich zu Ihnen setzen?«
Sie sah sich um; außer den beiden Freundinnen, die in einem fort über ihren Tellern schwatzten und lachten, waren alle übrigen Tische frei. »Wenn’s sich nicht vermeiden lässt«, entgegnete sie mit einem erneuten Schulterzucken und konzentrierte sich wieder auf die Zeitungsseite.
Ihr gegenüber wurde ein Stuhl gerückt, und aus den Augenwinkeln nahm sie wahr, wie sich der junge Mann niederließ und die Beine übereinanderschlug. »Möchten Sie noch etwas trinken? Ich lade Sie gern ein.«
Misstrauisch musterte ihn Floortje unter halb gesenkten Lidern. »Wenn Sie wollen«, erwiderte sie kurz angebunden.
»Dasselbe noch einmal?« Er deutete auf ihr fast leeres Whiskeyglas, und als sie erneut mit den Schultern zuckte, schnipste er mit den Fingern und rief energisch etwas auf Malaiisch in Richtung der Balustrade; offenbar hatte er damit den richtigen Ton getroffen, denn der Kellner beeilte sich, der Bestellung nachzukommen, und murmelte sogar etwas, das halbwegs freundlich klang, als er die beiden Gläser an den Tisch brachte.
»Auf Ihr Wohl«, sagte Floortjes Gegenüber und griff zu seinem Glas. »Sind Sie öfter hier?«
»Ab und zu.«
»Verraten Sie mir, was ein Mädchen wie Sie allein hier macht?«
Floortje hob nicht einmal den Kopf. »Wonach sieht’s denn aus?«
Der Fremde lachte. »Stört es Sie, wenn ich rauche?« Ohne aufzusehen, schüttelte Floortje den Kopf, und er zündete sich eine Zigarette an. »Entschuldigen Sie meine Neugierde«, hörbar blies er den Rauch aus. »Aber ein so zauberhaftes Wesen wie Sie, nur in Gesellschaft von einem Glas Whiskey und einer Zeitung – das ist doch richtiggehend schade.«
Floortje witterte, worauf er aus war, und sie verspürte den Drang, auf dieses Spiel einzugehen. »Haben Sie einen anderen Vorschlag?« Angelegentlich blätterte sie eine Zeitungsseite um.
»Sie könnten mir etwas Gesellschaft leisten. Vielleicht in etwas …«, er dämpfte seine Stimme, »privaterer Umgebung.«
Floortje erstarrte. Sah sie denn inzwischen tatsächlich aus wie ein leichtes Mädchen? Wie eine Käufliche?
»Gegen eine gewisse … finanzielle Entschädigung, selbstredend«, flüsterte ihr Gegenüber ihr dann auch sogleich über den Tisch hinweg zu.
Sie schluckte, und sie spürte, wie eine Ader an ihrem Hals heftig pochte. Damals, als Edu sie angesprochen hatte, hatte sie mit einem solchen Missverständnis kokettiert und dabei einen Stolz zur Schau getragen, den sie sich heute nicht mehr leisten konnte.
Die beiden Frauen lachten wieder, und Floortje sah zu ihnen hin. Ein Mann hatte sich zu ihnen gesellt, und die Blondine legte ihm gerade die Hand aufs Knie, während die Rothaarige sich mit verschränkten Armen auf den Tisch lehnte, sodass sie ihm ihre Brüste förmlich entgegenreckte. Floortjes Augenbrauen hoben sich. Ihr Blick fiel auf einen Wagen, der gerade vom Nordwijk in den Gang Thiebault einbog und dann hielt. Eine stämmige, aber mit ihrem samtbraunen Haar und weichen Zügen durchaus attraktive Frau stieg aus, zog sich den Ausschnitt ihres orangeroten Kleides zurecht und schüttelte ihre Röcke aus, bevor sie auf das L’Europe zuging. Der Wagen fuhr wieder an, und der männliche Fahrgast darin strich sich über das zerwühlte Haupthaar, bevor er sich seinen Hut aufsetzte und ihn tief ins Gesicht zog. Floortje beobachtete die Frau in Orangerot, wie sie sich ermattet auf einem der Stühle niederließ und sich das erhitzte Gesicht fächelte, während der Kellner herbeischlurfte, um ihre Bestellung aufzunehmen. Ein weiterer Wagen rollte den Nordwijk entlang und verlangsamte die Fahrt; ein Mann saß darin und ließ seinen Blick interessiert über die
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