Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Herz der Feuerinsel: Roman (German Edition)

Das Herz der Feuerinsel: Roman (German Edition)

Titel: Das Herz der Feuerinsel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole C. Vosseler
Vom Netzwerk:
aufwärts reckte, bis er einem Skorpion glich, und eine zweite Kugel in der ausgestreckten anderen Hand balancierte; eine Darbietung von athletischer Geschmeidigkeit, die die Gesetze der Schwerkraft und die Grenzen des menschlichen Körpers außer Kraft zu setzen schien.
    Anschließend beugte er die Knie und setzte sich ein Gestänge in den Mund, auf das der Kosake in die entsprechenden Halterungen drei der eisernen Bälle legte, bevor Holtum langsam aufstand und sich mit zurückgeneigtem Kopf und Oberkörper noch Kugeln in beide Hände legen ließ. Und bei jedem Tusch nach der geglückten Vorführung brach das Publikum in jubelnde Raserei aus.
    Mit einer schweren Eisenkette ließ sich der Artist zwischendurch von seinem Assistenten fesseln; das massive Vorhängeschloss schnappte zu, der Kosake eilte davon, und Holtum holte tief Luft, spannte seine Muskeln so fest an, dass Sehnenstränge, dick wie Paketschnur, hervortraten und an seinem Hals eine Ader heftig pochte und kurz vor dem Platzen schien. Mit einem Knirschen und einem Knall brach die Kette und fiel scheppernd in die Sägespäne. Zwei Burschen in Uniform betraten die Manege und führten jeder ein stämmiges Ross herein, die nebeneinander angeschirrt wurden. Holtum schüttelte seine Hände in den Handschuhen aus, packte den Riemen des Geschirrs, und als die Burschen mit Peitschengeknall und Gebrüll die Pferde antrieben, die wiehernd stiegen und loszupreschen suchten, sich einige der Zuschauer in den Logen ängstlich duckten, stemmte Holtum die Füße in den Boden; die Muskeln seiner Arme blähten sich auf, sein Hals schwoll an, aber er hielt alle zwei Pferde auf der Stelle, scheinbar minutenlang.
    Der donnernde Applaus, der über die Manege hereinbrach, während die schnaubenden, unruhig tänzelnden Pferde wieder abgeführt wurden, ebbte nur zögerlich ab; erst als der Kosake Holtum einen gepolsterten Harnisch umschnallte und auf einem weiteren Wagen ein Kanonenrohr hereinfuhr, herrschte schlagartig Stille.
    Erstaunlich war es allein schon, dass Holtum mithilfe seines Assistenten das Geschütz zu schultern vermochte, das aussah, als bräuchte man zwei bis drei kräftige Männer, um es ein paar Schritte weit zu schleppen. Dass er es jedoch auch noch sicher auf seiner Schulter hielt, während er es unter einem Krachen, einem Lichtblitz abfeuerte, sodass eine Kugel herausschoss und mit einem satten Geräusch im aufspritzenden Sägemehl aufschlug, kam einer Sensation gleich, die donnernden Applaus und bewunderndes Jubel hervorrief.
    Totenstille kehrte ein, als der Kosake danach eine ausgewachsene Kanone hereinrollte und in die richtige Position schob, während der Artist sich mit tiefen Atemzügen und konzentrierter Miene sammelte und Arme und Beine ausschüttelte.
    »Tu’s nicht, John!«, schrie irgendwo eine Frau panisch. »Tu’s nicht! Bitte!«
    »Heirate mich! Ich mach dich glücklich!«, kreischte eine zweite kurz vor dem Überschnappen.
    Floortje ballte unwillkürlich die Hände zur Faust und hielt genau wie das gesamte Publikum den Atem an, während der Trommelwirbel sich zu nervenzerfetzender Raserei steigerte und dann jäh abbrach. Das gesamte Zelt zuckte unter dem krachenden Schlag, dem Feuerblitz zusammen und explodierte nach einer Schrecksekunde in ungläubigem Jubel, als Holtum die Eisenkugel, groß wie der Kopf eines Kindes, sicher in den behandschuhten Händen hielt, bevor er sie von sich stieß, dass sie mit einem dumpfen Laut zu Boden fiel, und in einer energischen Bewegung die Hände vor der Brust zu Fäusten ballte und aufröhrte wie ein Löwe.
    Wie eine Sturmflut brandete es durch die Ränge, als Zuschauer um Zuschauer aufsprang. Als tosende Menge riss das Publikum unter Gebrüll die Fäuste in die Luft und überschüttete Holtum mit Jubel, Zurufen, Applaus und immer lauterem Applaus.
    Schwer atmend breitete der Artist die Arme aus und senkte mit regloser Miene den Kopf. Er wies mit einer Hand anerkennend auf seinen Assistenten und verneigte sich dann tief nach allen Seiten; jetzt erst huschte so etwas wie ein Lächeln über sein kantiges Gesicht.
    »John, ich liebe dich!«
    Rosen, Frangipani und die Blütenbälle von Hortensien regneten in die Manege, in der es beißend nach Rauch und Schießpulver roch. Einer der Burschen in Uniform konnte gerade noch eine Frau davon abhalten, über die Bande zu klettern; in seinem Griff zappelte und strampelte sie und keifte sich die Kehle nach John Holtum wund; irgendwo in den oberen Rängen brach Unruhe

Weitere Kostenlose Bücher