Das Herz der Feuerinsel: Roman (German Edition)
de Jong um eine Unterredung zu bitten. Obwohl es höchste Zeit war; die Stimmung im Haus begann sie zu zermürben.
Zwar hatte der Major seit diesem hässlichen Übergriff keine Anstalten mehr gemacht, sich ihr zu nähern, aber sie traute ihm nicht über den Weg. Seine Augen schienen sie beständig zu verfolgen, selbst wenn sie ihn auf einem seiner mehrtätigen Erkundungsritte wusste. Und auch wenn sie sich eine Närrin schalt, weil er wohl kaum nachts in ihr Zimmer kommen würde, um ihr Gewalt anzutun, schob sie vor dem Schlafengehen nicht nur den Riegel vor, sondern stellte auch einen Stuhl innen vor die Tür. Nur wenn Frau de Jong sich im Haus aufhielt oder Jacobina mit den Kindern zusammen war, fühlte sie sich einigermaßen sicher.
»Na komm«, flüsterte sie aufmunternd und streckte die Arme nach Jeroen aus. Schwerfällig legte er ein Bein über ihre Oberschenkel und half nur wenig mit, als sie ihn auf den Schoß zog, wo er dann seinen Kopf gegen ihre Brust schmiegte.
»Ida auuuuchh!« Die Unterlippe vorgeschoben, blickte das kleine Mädchen sehnsüchtig zu ihrem Bruder und Jacobina.
»Jetzt bleibt Jeroen erst mal ein bisschen bei mir«, schlug Jacobina vor und schloss die Arme um den Jungen, »und danach bist du an der Reihe, ja?«
Ida nickte wenig überzeugt, senkte mit einem tiefen Aufschnaufen den Kopf und drehte den Stift zwischen ihren Fingern.
Jacobina ließ die Knie sanft hin und her wippen, um Jeroen ein bisschen zu schaukeln, der schwer in ihrem Schoß hing. In Gegenwart der Kinder konnte sie freier atmen; die Unschuld, die Reinheit von Jeroen und Ida, die nichts wussten von den Leidenschaften, in die sich die Erwachsenen verstrickten, die nichts ahnten von Schuld und Sünde, nichts von den trüben Wassern voller Unrat, die um ihre kleine heile Welt herumschwappten, vermittelte Jacobina ein Gefühl von Geborgenheit. Von Sicherheit.
Lächelnd blickte sie auf den Jungen herunter, der die Augen geschlossen hatte. »Was macht dein Zahn?«, fragte sie leise. Seit ein paar Tagen war die Kante seines neuen Schneidezahns, groß und kräftig, gut sichtbar. Jeroen murmelte etwas vor sich hin, und Jacobina neigte den Kopf tiefer zu ihm. »Was hast du gesagt?«
»… tut weeeh«, nuschelte er nur halb verständlich.
Jacobina strich ihm tröstend über die Wange und erstarrte. Er war glühend heiß, heißer als gewöhnlich, sogar noch heißer, als wenn er durch den Garten getobt wäre, und als sie genauer hinsah, entdeckte sie feine Schweißtropfen auf seiner Oberlippe.
»Ida, komm mal her.« Sie lehnte sich vor und streckte die Hand nach dem kleinen Mädchen aus, befühlte prüfend seine Stirn und Wangen. Auch Ida war heiß und schwitzte leicht, aber nicht mehr als sonst in der dampfigen Hitze des Tages auch, und die Augen, die ihr verwundert entgegensahen, waren klar.
Furcht kroch in Jacobina empor; ein, zwei Herzschläge lang wog sie noch ab, ob sie vielleicht grundlos in Angst und Sorge verfiel. Aber derart schlaff und ausgelaugt hatte sie Jeroen noch nie erlebt; sonst war der Junge immer gesund und munter und sprang herum wie ein junger Hund; hier auf Sumatra achtete Frau de Jong noch mehr als in Batavia darauf, dass Melati die Schlafenszeiten der Kinder einhielt, sie sich ausgiebig draußen aufhielten, solange die Hitze nicht allzu groß war, und sie viel frische Früchte, Gemüse und Fisch zu essen bekamen.
»Melati!«, schrie sie ins Haus hinein und presste den Leib des Jungen fest an sich. »Melati! Schnell!«
Den Rücken an die Wand unter dem Fenster gelehnt, saß Jacobina auf der Bodenmatte im Zimmer der Kinder. Behutsam bewegte sie ihre angezogenen Knie hin und her und summte vor sich hin, um Ida zu trösten, die schlafschwer vor ihrer Brust lag, das verweinte Gesicht an Jacobinas Schulter gekuschelt und einen Daumen in den Mund gesteckt. Die Aufregung des heutigen Vormittags und das bange Warten auf den Arzt, den Vincent de Jong persönlich aus Teluk Betung holte, hatten Ida durcheinandergebracht, und der fremde Mann, der sie überall betastet und ihr in den Mund geschaut hatte, hatte sie geradezu verstört. Obwohl Doktor Dekker ein noch junger Arzt war, der mit seinem rundwangigen Schmunzelgesicht, dem buschigen goldbraunen Schnauzbart und seinem ungebärdigen Haar lustig aussah und eine nette Art hatte, mit dem kleinen Mädchen umzugehen, hatte sie stundenlang geheult und war kaum zu beruhigen gewesen.
Jacobinas Blick wanderte zu Jeroens Bett, und ihre Kehle wurde eng. Reglos und mit
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