Das Herz der Feuerinsel: Roman (German Edition)
Morgenrock neben ihm gesessen hatte, und an jenen Nachmittag, als er ihr die Frangipaniblüte ins Haar gesteckt hatte, und an ihren Bummel durch Glodok. Oft erinnerte er sich an ihren ersten Kuss im Regen an des Königs Geburtstag und an all die Küsse danach, und wann immer er die Zeit erübrigen konnte, ging er in den Botanischen Garten zum Canangabaum, lehnte sich an dessen Stamm und fuhr mit dem Finger das Herz und ihre Initialen nach, die er dort hineingeritzt hatte, als er sie fragte, ob sie seine Frau werden wolle. Und sein Leib erinnerte sich nur zu gut daran, wie sich ihrer an dem seinen angefühlt hatte, als sie im Hotel Bellevue schwimmen gewesen waren, fast Haut an Haut, nur mit einem Nichts an durchnässtem Stoff dazwischen, an ihre schlanken Glieder, ihre schmalen Hüften, ihre kleine feste Brust. Gradlinig und schnörkellos wie ihr Wesen, ihre Art zu denken und sich mitzuteilen, aufrecht und unverfälscht.
Das Lächeln auf seinem Gesicht verlosch.
Trotzdem eine ganz unangenehme Lage. Auch für Sie, Molenaar. Unsere Muttergesellschaft dürfte nicht sonderlich erbaut sein, sollte sie davon hören. Sie wissen ja: semper aliquid haeret – etwas bleibt immer hängen. Unter Umständen werden Sie nicht nur meinen Posten nicht bekommen, sondern auch Ihren verlieren. Und was machen Sie dann mit Ihrem Leben, Molenaar?
Mit nachdenklicher Miene ging Jan zum Schreibtisch zurück und ließ sich schwer auf den Stuhl fallen. Er strich sich über Mund und Kinn und starrte wieder auf Jacobinas Brief.
Wenn ich Ihnen einen Rat geben darf: Halten Sie einstweilen still. Versprechen Sie nichts. Spielen Sie auf Zeit. Zumindest, bis etwas Licht in die Angelegenheit gekommen ist.
Jan wünschte, Vincent und Griet hätten ihn nie ins Vertrauen gezogen. Unwissenheit wäre ein Segen gewesen; wie Adam kam er sich vor, der im Garten Eden die verbotene Frucht vom Baum der Erkenntnis gepflückt hatte, aber Eva war es, die dafür büßen musste. Welche Entscheidung er auch traf – sie würden alle aus dem Paradies vertrieben werden. Ein Zurück gab es nicht mehr. Für keinen von ihnen.
Müde setzte er sich auf, stützte die Ellenbogen auf den Schreibtisch und lehnte mit geschlossenen Augen die Stirn gegen die gefalteten Hände.
»Herr, ich rufe dich an«, begann er zu murmeln, »in dieser Stunde der Not. Erbarme dich meiner und weise mir den rechten Weg …«
42
Buitenzorg, den 24. August 1883
Liebe Jacobina,
mit großer Bestürzung habe ich Deine Zeilen gelesen. Ich vertraue jedoch auf die Gerechtigkeit des Herrn und unser Gerichtswesen auf Java, das zweifelsfrei Deine Unschuld beweisen wird.
Ich schließe Dich in meine Gebete ein.
Jan
Jacobina stand in ihrer Kammer und las die Zeilen wieder und wieder, doch sie wollten nicht zu ihr durchdringen. Bis eine dunkle Ahnung in ihr auftrieb und zu einer schwarzen Flut anschwoll, die sie überschwemmte und in ihre Tiefe hinabzog.
Der Raum begann sich um sie zu drehen. Der Tisch, auf dem noch die Reste ihres Mittagessens standen, Reis mit einem Curry aus Gemüse, Früchten und Fleisch. Das schmale Bett, in dem sie drei Nächte verbracht, aber kaum geschlafen hatte. Der Waschtisch, an dem sie sich nur notdürftig frisch gemacht hatte, weil ihr zu mehr die Kraft fehlte.
Ihre Knie gaben nach, und sie sackte zu Boden. Ein hoher, dünner Klagelaut entfuhr ihrer Kehle; sie ballte die Hände zu Fäusten und begann zu weinen. Laut und unbeherrscht und zum ersten Mal auch voller Zorn.
Floortje stand in ihrem Zimmer und starrte das Kleid auf der Schneiderpuppe an. Lange stand sie schon so da; ihr Haar, noch nass vom Bad nach dem morgendlichen Besuch Kian Gies, hatte Schultern und Rücken ihres türkisfarbenen Morgenrocks mit den Schmetterlingen bereits durchgeweicht, und rings um ihre bloßen Füße hatte sich eine Pfütze auf dem Boden gebildet, in die unablässig weitere Tropfen fielen.
Es war ein schönes Kleid, das heute Morgen geliefert worden war, aus einer spinnwebzarten, verschwenderisch quer gerafften jadegrünen Seide mit einem Hauch von Silberstickerei, die sich an den winzigen Ärmeln, dem tiefen Dekolleté und der Schleppe zu einer filigranen Bordüre verdichtete; Huifen hatte fortwährend entzückte Laute von sich gegeben, während sie es der Schneiderpuppe anlegte. Floortjes Blick wanderte auf den Frisiertisch, auf dem eine schwarze Samtschatulle lag, die den Schmuck enthielt, den Kian Gie dazu ausgesucht hatte, ein Ensemble aus langen Ohrgehängen, einem Collier und
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