Das Herz der Feuerinsel: Roman (German Edition)
stolpernd, halb in humpelnden Laufschritt schließlich doch noch zurücklegte. Mit weichen Knien und zittrigen Muskeln schlitterte sie die Böschung hinab und kauerte sich halb unter den Brückenkopf.
Das Blut sauste ihr in den Ohren, und sie rang krampfhaft nach Atem, sie hustete und würgte und musste sich beinahe übergeben, während sie ängstlich hinter sich lauschte.
Ein Ruf ließ sie zusammenschrecken. Vom Wasser her war er gekommen; ein alter Chinese, das weißbärtige Gesicht unter dem kegelförmigen Strohhut blassgelb und verschrumpelt wie eine zu lange gelagerte Zitrone, deutete einladend auf den mit Ballen und Säcken beladenen Holzkahn, in dem er saß und den er mit einem langen Stab durch den Kanal vorwärtstrieb.
Floortje nickte, und er steuerte den Kahn näher ans Ufer, sodass sie fast trockenen Fußes in das schwankende Gefährt einsteigen konnte.
» Terima kasih «, keuchte sie, als sie sich zwischen die Säcke hockte.
Der alte Mann stieß den Kahn wieder vom Ufer ab und ließ ihn durch das bräunliche Wasser gleiten. Mit der freien Hand langte er hinter sich und nestelte einen fleckigen Lumpen hervor, tippte mit einem knotigen Zeigefinger auf seinen Mund und reichte Floortje das Tuch. Floortje begriff und wischte sich über die untere Gesichtshälfte. Angeekelt betrachtete sie die roten Schlieren auf dem Stoff und schmatzte ein paar Mal angewidert; sie hatte einen dumpfen, pelzigen Geschmack im Mund, und die Zunge klebte ihr am Gaumen. Der Chinese lachte, ruckartig und tonlos mit geöffnetem, nahezu zahnlosen Mund, und holte einen tönernen Krug mit Korkstopfen hervor, den Floortje dankbar entgegennahm und sich erst mit ein paar Schluck den Mund ausspülte, die sie ins Wasser spie, bevor sie gierig von einer Art Limonade aus Kräutern trank und ihm den Krug zurückgab.
Er sagte etwas zu ihr und wies mit fragendem Blick in die Richtung, in die er den Kahn lenkte.
»Molenvliet?«, erwiderte sie unsicher. » Hotel Des Indes ?«
Der Chinese gab eine Antwort, die zustimmend klang, und nickte dazu. Floortje rieb Daumen und Zeigefinger gegeneinander, um ihm zu bedeuten, dass sie ihn bezahlen wolle, aber der Greis winkte ab.
» Terima kasih «, wiederholte Floortje strahlend.
Dann saß sie einfach nur da und genoss das Gefühl der Sonne auf ihrem glühenden Gesicht und die leichte Brise in ihrem Haar und auf der schweißnassen Haut, während der Kahn sie aus dem Viertel von Glodok hinausschaukelte.
Floortjes Schritte wurden immer langsamer, je näher sie dem parkähnlichen, von einem schmiedeeisernen Zaun umgebenen Anwesen mit den hohen Bäumen und den weißen Flachbauten kam. Mit hochgezogenen Schultern schlich sie an dem Bungalow des Friseurs vorbei und blieb schließlich in einigem Abstand vom Empfangshaus stehen. Es waren nicht nur ihre eigenen gemischten Gefühle, die ihr das Wiedersehen mit dem Hotel Des Indes vergällten, sondern die ungewöhnliche, bedrückende Stille, die über dieser Mittagsstunde lag. Zwar konnte sie aus dem Innenhof Stimmen und Gelächter hören, das leise Klingen von Porzellan, Silber und Glas, und durch den sandigen Boden der Straße knirschten Wagenräder, die Hufe der Pferde und Ponys, aber sonst war es still. In den Baumkronen raschelte sacht das Laub, mur die Zikaden und Vögel blieben stumm. Eine bedrückende, angespannte Stille war es, wie kurz vor einem kräftigen Gewitter. Floortje schaute zum Himmel hinauf, der sich stramm über Batavia spannte wie ein glänzendes hellblaues Tuch, ohne dass auch nur ein Wolkenfetzchen in Sicht war.
Ein dunkles, knisterndes Rauschen brauste hinter ihr heran und ließ die Luft vibrieren. Unwillkürlich zog Floortje den Kopf ein und sah dann verblüfft, wie in enger Formation ein großer Vogelschwarm mit schnellem Flügelschlag die Dachfirste des Hotels überflog; ein Anblick von düsterer Schönheit, der Floortje erschaudern ließ.
Sie blieb noch einen Augenblick stehen, den Blick auf die Bäume geheftet, hinter denen die Vögel verschwunden waren, dann fasste sie sich ein Herz und trat über die Schwelle des Hoteleingangs.
»Guten Tag, Mademoiselle.« Falls der braunhäutige Portier in seiner weißen Uniform sich über sie wunderte, verschwitzt und immer noch außer Atem wie sie war, ohne Hut und Sonnenschirm, oder sie womöglich gar wiedererkannte, so ließ er es sich zumindest nicht anmerken; eilfertig schnellte er hinter seinem Empfangstisch neben der Topfpalme empor. »Was kann ich für Sie tun,
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