Das Herz der Feuerinsel: Roman (German Edition)
erzählen, nicht?«, setzte Floortje nach einer kleinen Pause neu an.
»Ja.« Jacobina zögerte. »Aber nicht jetzt.«
»Nein.« Floortje schüttelte den Kopf. »Nicht jetzt.«
Es hätte Ablenkung geboten, aber keiner von beiden stand der Sinn danach; jetzt zählten allein der Moment und das Gefühl, einander wiedergefunden zu haben. Aneinandergeschmiegt fiel erst Floortje, dann auch Jacobina in einen leichten, unruhigen Schlummer, während sie wie die Beyerincks, deren Dienstboten und mehr als dreitausend von der Küste geflohene Einheimische draußen darauf warteten, dass die Nacht zu Ende ging.
48
Jacobinas Kopf ruckte hoch; sie hatte Stimmen vor dem Haus gehört, die erregt klangen, und ein würziger Duft kitzelte ihr in der Nase. Sie blinzelte und rieb sich über die verklebten Augen. Frau Beyerinck saß an dem Tisch gegenüber und schenkte ihr ein schwaches Lächeln. »Es gibt gleich etwas zu essen. Suppe. Mein Mann hat veranlasst, dass eines der Hühner geschlachtet wird.« Dann richtete sie den Blick wieder auf den Folianten vor sich, vielleicht eine Bibel, und hinter ihr saßen und lagen ihre Dienstboten zusammengekauert auf dem Boden, manche hellwach, andere in einem unruhigen Dämmer. Und durch die Tür zur Küche konnte sie sehen, wie ein Bediensteter in einem Topf herumrührte.
Ihr Blick fiel auf Floortje. Die Hände wie ein kleines Kind zu lockeren Fäusten vor der Brust, drückte sie sich halb an Jacobinas Schulter, halb gegen die Wand und schlief mit offenem Mund. Ein Lächeln zuckte auf Jacobinas Gesicht auf. Vorsichtig fasste sie Floortje bei den Schultern, schob sich unter ihr hervor und bettete sie dann sorgsam auf den Boden; Floortje schmatzte ein paar Mal im Schlaf und rollte sich dann zusammen wie eine Katze, während Jacobina aufstand.
Jacobina sah auf die Uhr, die kurz nach sechs zeigte, und warf einen Blick ins Schlafzimmer. Ida lag ähnlich zusammengerollt wie Floortje auf der Seite, auch mit offenem Mund und die Händchen zu Fäusten geballt, und erleichtert sah Jacobina, wie sich ihre Brust gleichmäßig hob und wieder senkte. Sie drehte sich um und lenkte ihre Schritte zur Eingangstür.
»Tun Sie’s nicht«, sagte Frau Beyerinck leise, als sie an ihr vorbeiging. »Ich war vor einer Stunde draußen, obwohl mein Mann mich davor warnte. Was Sie da draußen sehen, werden Sie Ihr Lebtag nicht mehr vergessen.«
Jacobina zögerte, aber ihre Neugierde gewann schließlich die Oberhand und ließ sie die Tür aufschieben und auf die Veranda treten.
Draußen war es noch immer finster; selbst vom Vulkan war nichts mehr zu sehen, und Ascheflöckchen regneten vom Himmel wie schwarzgrauer Schnee. Das einzige Licht stammte von den nach und nach verlöschenden Laternen und von den Feuerzungen, die überall zu sehen waren. Jacobina konnte nicht ausmachen, woher sie kamen oder was sie hervorrief, aber wohin sie auch schaute, entdeckte sie diese züngelnden Flämmchen, selbst in den Kronen der Bäume. Flämmchen, die ein grünliches Licht hinterließen, wenn sie erstarben, bis neue aufzuckten. Ein unheimlicher, geradezu furchterregender Anblick und trotzdem einer von ganz eigener bizarrer Schönheit.
Ihr Blick fiel auf Herrn Beyerinck, der von einer Handvoll einheimischer Männer umringt stand, die beunruhigt bis verzweifelt auf ihn einredeten, während er immer wieder Zwischenfragen einwarf und sich in einer hilflosen Geste durch das Haar fuhr, bis er schließlich nickte und sich umwandte.
»Schlechte Nachrichten?«, fragte Jacobina bedrückt und umschlang eng ihren Oberkörper.
Beyerinck zögerte, fuhr sich dann erneut durchs Haar. »Ja.« Seine Stimme klang belegt. »Furchtbare Nachrichten. Ich habe ein paar Männer ausgeschickt, den Weg zur Küste wieder hinunterzugehen, um zu sehen, wie es in Ketimbang aussieht.« Sein gefälliges Gesicht zog sich angestrengt zusammen. »Es muss im Lauf der Nacht mindestens eine weitere Flutwelle gegeben haben, größer und kräftiger. Ketimbang gibt es nicht mehr.« Er rieb sich über das Gesicht. »Viele Meilen ins Landesinnere hinein ist alles zerstört.« Beyerinck verstummte, und auch Jacobina schwieg erschüttert, gepackt von der Erinnerung an die Flut, die sie selbst mitgerissen und die de Jongs verschlungen hatte; die de Jongs, die sich offenbar von ihrem Haus am Strand nach Ketimbang geflüchtet hatten, weil sie sich dort in Sicherheit glaubten.
»Vielleicht sollten wir weiter ins Landesinnere gehen«, hörte sie Beyerinck leise sagen, dann
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