Das Herz der Feuerinsel: Roman (German Edition)
spürte sie seine Hand auf ihrem Oberarm. »Kommen Sie essen, Fräulein van der Beek. Wir werden wahrscheinlich alle noch einiges an Kraft brauchen.«
Während Floortje sich nach dem Teller Hühnersuppe nochmals zu einem Nickerchen zusammengerollt hatte, zog es Jacobina wieder nach draußen. Lange starrte sie von einer Ecke der Veranda aus in die Finsternis aus Qualm und Asche, beobachtete die Feuerzungen und ihr grünes Nachglühen und wunderte sich selbst über die seltsame Verbindung aus Furcht und Faszination, die sie dabei empfand und die ihr wie ein Sinnbild für die leidenschaftliche Seite der menschlichen Natur vorkam, ebenso verlockend und schön und zu ebensolcher Grausamkeit fähig. Und über das, was hinter ihr lag, dachte sie nach, wie unbedeutend ihr all das nun schien, angesichts der Gewalt, mit der dort draußen die Erde in einer Entfesselung der Elemente ihr schreckliches Antlitz zeigte. Dort, wo noch vor ein paar Tagen eine stille, friedliche Insel gewesen war. Ein Paradies auf Erden. Vielleicht hatte Jan recht gehabt, als er ihr einmal schrieb, dass einem am Ende wohl nur das Vertrauen auf Gottes Gnade blieb. Ein ebenso niederschmetternder wie tröstlicher Gedanke.
»Guck, da ist die Tante Bina!«, hörte sie Floortje vergnügt rufen, und sie wandte sich um. An Floortjes Hand tapste Ida über die Schwelle und schickte ihr ein noch ein bisschen zaghaftes, aber durchaus glückliches Lächeln entgegen.
»Ich wusste nicht, was ich machen sollte«, wandte sich Floortje schuldbewusst an sie. »Sie hat mehrmals nach dir gerufen, da dachte ich, ich bring sie zu dir.«
»Ist gut«, erwiderte Jacobina lächelnd. Sie wollte ihr schon entgegengehen, aber ein Geräusch irritierte sie. »Was ist das?«, murmelte sie verblüfft und lauschte angestrengt in Richtung des Vulkans.
Auch Floortje horchte auf. Ein Fauchen war es, das sie an einen Topf mit sprudelnd kochendem Wasser erinnerte, wenn der Dampf den Deckel klappern ließ und schließlich anhob, sodass das Wasser herausleckte und zischend auf dem Feuer verdampfte. Doch noch bevor sie etwas sagen oder sich rühren konnte, sprangen zwei Männer auf die Veranda, und sie schrie, hoch und schrill.
Der grelle Schrei ließ Jacobina herumfahren; sie sah zwei Schatten, die nach Floortje und Ida griffen und sie ins Haus zogen. Vielleicht die Männer aus dem Wald, sie konnte sie nicht genau erkennen.
»Nicht!«, schrie sie und setzte ihnen nach.
Der eine Mann zerrte eine weinende Floortje durch den Raum, halb am Haar, halb an einem Arm gepackt, aufs Schlafzimmer zu. Der andere hielt Ida auf dem Arm, die vor Angst kreischte; sein langer Zopf peitschte Jacobina ins Gesicht, als er sie ebenfalls ergriff und mit sich schleifte. An den Beyerincks und ihren Kindern vorbei, die schreckensstarr am Tisch über den Resten ihrer Suppe saßen.
»Türen zu!«, brüllte eine Männerstimme mit hartem Akzent. »Türen zu!«
In der hintersten Ecke des Schlafzimmers wurde Floortje zu Boden gestoßen; der Mann griff sich ein Leintuch und warf es über sie, und wickelte sie darin ein; dann bekam Jacobina selbst einen Schlag in den Rücken und landete hart auf den Knien. Im nächsten Moment war Ida in ihrem Arm, heulend und schluchzend, und Jacobina presste sie an sich. Aus den Augenwinkeln sah sie noch, wie sich der andere Mann auf Floortje niederfallen ließ, die aufwimmerte und dann verstummte. Jacobina spürte einen Luftzug; ein muffig riechender Stoff hüllte sie ein, und ein schwerer Leib stürzte sich auf sie. Sie versuchte so zu fallen, dass sie Ida nicht zerquetschte, aber es ging alles viel zu schnell; das Einzige, was sie tun konnte, war, sich gegen den schweren Männerkörper zu stemmen, sodass Ida möglichst viel Raum blieb, obwohl der Mann sie unbarmherzig gegen den Holzboden drückte. Verzeih mir, meine Kleine, ich wollte dir nicht wehtun. Verzeih mir.
Jacobina hörte Frau Beyerinck nach einem Messer schreien; die Kinder kreischten, Frauen weinten, Männer brüllten unter schnellen, schweren Schritten, und sie dachte noch, wie absurd es doch war, dass sie hier wohl ermordet würden, während draußen ein Vulkan ausbrach.
Dann zerbarst die Welt. Mit einem Donnerschlag, der Jacobinas Schädel sprengte. In einem Funkenfeuer aus Schmerz, das ihr das Rückgrat hinunter- und wieder heraufschnellte. Ihr Mund öffnete sich zu einem Schrei, der jedoch stumm blieb.
Das Haus erzitterte, rüttelte und wackelte; krachend prasselten Sturzbäche aus Gestein auf das Dach
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