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Das Herz der Feuerinsel: Roman (German Edition)

Das Herz der Feuerinsel: Roman (German Edition)

Titel: Das Herz der Feuerinsel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole C. Vosseler
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richtige Zeit, um zu erzählen. Für sie beide. Eine Zeit, um sich das von der Seele zu reden, was jede von ihnen mit hierher, nach Sumatra gebracht hatte. Um gemeinsam zu trauern und den Schmerz zu teilen; um ihrem Zorn freien Lauf zu lassen, zu weinen und manchmal auch zu lachen. Um Beichte abzulegen über die Fehler, die sie gemacht, und über die großen und kleinen Sünden, die sie begangen hatten; eine Beichte vor der anderen, vor Gott und nicht zuletzt vor sich selbst. Eine Zeit, um zu spüren, wie stark das Band zwischen ihnen trotz allem immer noch war, und es fester zu weben. In diesen endlosen Stunden bei aschedurchsetztem Wasser und hartem Zwieback, in absoluter Finsternis, die keinen Raum ließ für Heimlichtuerei oder Eitelkeiten, für Scham oder falsche Schuld.
    Nicht in diesen Stunden, in denen das Ende aller Zeiten gekommen schien und von denen jede womöglich ihre letzte sein konnte.

50
    Floortjes Lider flatterten, als etwas in ihrer Nase kitzelte. Sie hatte einen üblen pelzigen Geschmack im Mund und verzog das Gesicht, blinzelte und riss dann gewaltsam die Lider auf.
    »Jacobina«, rief sie, mit einem Schlag hellwach, und rüttelte an Jacobinas Schulter. »Jacobina!«
    Jacobina fuhr schlaftrunken hoch, ihr Herzschlag ein angstvolles Stolpern. Besorgt beugte sie sich über Ida, die zusammengerollt in ihrem Schoß schlief, das Gesichtchen rußverschmiert, die hellen Haare dunkel vor Dreck und Schweiß, und bedrückt musterte sie die roten Flecken auf den Ärmchen und Beinen, die offenbar von leichten Verbrennungen herrührten. Dann erst kniff Jacobina verwirrt die Augen zusammen und öffnete sie wieder, rieb mit dem Handrücken darüber und betrachtete dann ungläubig ihre Hände. Es war tatsächlich nicht mehr dunkel, wenn es auch noch stark verbrannt und schweflig roch.
    »Schau doch«, hauchte Floortje, wies auf die Lichtstrahlen, die an den Seiten des Rollos hereinfielen und den Raum in Dämmerlicht tauchten, und stand auf. Jacobina bettete Ida vorsichtig auf den Boden um und erhob sich ebenfalls.
    Behutsam hoben sie beide jeweils eine Kante der Jalousie an und spähten hinaus. Blinzelnd zuerst, denn nach der langen Finsternis schmerzte das Licht der Sonne in den Augen, obwohl der Himmel trüb war und die Luft halb staubig, halb dunstig. Sie lachten einander an, und Floortje lief schon zur Tür, während Jacobina Ida sachte weckte und auf ihre Hüfte setzte.
    Dicht hintereinander traten sie über die Schwelle und erstarrten. Floortje schlug mit Tränen in den Augen die Hand vor den Mund, und Jacobina verbarg Idas Gesichtchen an ihrer Schulter, damit das Kind das Grauen nicht sah. Die entstellten und teils verkohlten Leichen rings um das Haus, die sich durch eine tote Landschaft zerstreuten, in der es nichts Grünes mehr gab. Nur verbrannte, angekokelte Gerippe von Bäumen und Sträuchern, nur graue Asche und schwarzes Gestein, das an einigen Stellen noch qualmte.
    Langsam gingen sie über die Veranda und blickten hinüber zu dem Vulkan, der mit solch zerstörerischer Kraft gewütet hatte. In der Ferne schimmerte das Wasser der Sundastraße in einem matten Blau und schaukelte ein breites, dunkles Band aus Bimssteinbrocken gegen die Küste Sumatras. Auch die Inseln Sebuku und Sebesi waren vom Feuer abrasiert und angesengt, und wo zuvor die Insel von Krakatau mit den drei Bergkegeln gewesen war, erhob sich nur noch eine Handvoll qualmender Felsbrocken aus dem Wasser; Jacobina zählte acht davon. Der Vulkan hatte sich selbst verschlungen.
    »Was glaubst du, wie es auf der anderen Seite aussieht?«, fragte Floortje beklommen.
    »Ich weiß es nicht«, flüsterte Jacobina tonlos. Sie wandte sich um und sah die Flanken des Rajabasa hinauf, die sich über dem geschwärzten und von Asche bedeckten Hausdach erhoben. Still und friedlich blickte er über die Bucht. Fast so, als hätte er über Jacobina, Floortje und Ida gewacht, während sein Bruder jenseits des Wassers tödliche Fluten und versengenden Gluthauch hierhergeschickt hatte.
    »Du bist an der Schulter verletzt«, sagt Floortje und zog vorsichtig einen Stofffetzen auf Jacobinas Rücken beiseite, wo das dünne Gewebe der Kebaya aufklaffte.
    »Und du am Arm und im Gesicht«, erwiderte Jacobina.
    Floortje betastete die verkrustete Schramme auf ihrer Wange und besah sich dann die Rückseite ihres Oberarms, wo ihr Kleid aufgerissen war. Dann hob sie den Rocksaum und präsentierte eine großflächige, wenn auch oberflächliche Brandwunde an der Wade.

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