Das Herz der Feuerinsel: Roman (German Edition)
aufplatzten und zu bluten begannen. Ein schweigsamer Weg war es, durch eine Landschaft wie nach der Apokalypse, auf dem Floortje ebenso ihren eigenen Gedanken nachhing wie Jacobina, die Ida auf ihren Rücken gebunden trug, während Floortje immer wieder nachschaute, ob es dem Kind gutging. Dennoch sahen sie sich ab und an in die Augen und tauschten ein kurzes Lächeln, ebenso aufmunternd wie herzenseinig, und oftmals reichten sie einander die Hände, um sich gegenseitig über besonders unwegsame Stellen hinwegzuhelfen.
Die Sonne stand schon tief, als sie müde und mit schmerzenden Füßen stolpernd unten an der Küste anlangten. Keuchend beugte Jacobina sich vor, stützte die Hände auf die brennenden Oberschenkel und betrachtete sorgenvoll das Mosaik aus Bimssteinbrocken, das vor ihnen auf den Wellen auf und ab schaukelte. »Wenn aber kein Schiff vorbeikommt?«, schnaufte sie zweifelnd. »Oder erst morgen? Oder übermorgen?«
»Wir haben bis jetzt so viel Glück gehabt«, rief Floortje und tapste über das teils noch qualmende Geröll auf einen Steinbrocken zu, legte prüfend die Hand darauf, ob er noch heiß war, und hockte sich dann aufseufzend halb darauf. »Dann haben wir jetzt bestimmt auch Glück!«
»Meinst du?«, erwiderte Jacobina, balancierte zu Floortje hinüber und lehnte sich mit dem Hinterteil ebenfalls gegen den Stein.
Während sich ihr Atem langsam beruhigte, sahen sie aufs Meer hinaus, auf die Rauchsäulen, die immer noch von den Überresten von Krakatau aufstiegen.
Unvermittelt zuckte ein Lächeln auf Jacobinas Gesicht auf. »Ich muss gerade an ein Sprichwort denken, das mir Endah beigebracht hat. Auf Malaiisch bekomme ich es nicht mehr zusammen, aber auf Holländisch bedeutet es in etwa: Zusammen gehen wir einen Berg hinauf, zusammen gehen wir einen Hügel herunter.«
Auch Floortje lächelte. »Ja, das haben wir getan.« Sie zögerte und fügte dann leiser hinzu: »So könnten wir’s vielleicht auch in Zukunft halten, oder?«
Jacobina sah sie an, und ihr Lächeln vertiefte sich. »Ja, Floortje. Das machen wir.«
Ihre Hände verschränkten sich ineinander, und gemeinsam blickten sie über das Wasser der Bucht hinweg.
»Sieh mal«, hauchte Floortje irgendwann und ruckte an Jacobinas Hand. Im Westen zeichnete sich das erste Abendrot ab, ein so prächtiges Abendrot, wie sie es noch nie gesehen hatten, in flammendem Türkischrot und strahlendem Goldgelb, leuchtendem Pfirsichrosa und tiefem Orange. Und darunter flatterte das Rauchfähnchen eines Dampfkahns, der in ihre Richtung tuckerte.
»He!«, schrien beide wie aus einem Mund, sodass Idas Köpfchen erschrocken hochruckte; sie sprangen auf und liefen ans Wasser, winkten mit hochgereckten Armen und brüllten aus Leibeskräften. Bis der Dampfer ein durchdringendes Tuten von sich gab und die Küste ansteuerte.
Während der Kahn den Anker auswarf und ein Boot herabließ, das sich behutsam durch die wogende Flut aus Bimsstein manövrierte, lachten und weinten sie gleichzeitig und hielten sich in den Armen.
Morgen vielleicht würden sie darüber nachdenken, wie es für sie weitergehen würde. Aber heute – heute zählte allein, dass sie in Sicherheit waren.
V
Tempo doeloe
a
Sekali bah, sekali pantai beroebah.
Nach einer Flut
ist der Strand nicht mehr derselbe wie zuvor.
51
Der Donnerschlag, mit dem die Insel Krakatau explodierte und teils in Trümmern durch die Luft flog, die auf den umliegenden Küsten landeten, teils im Meer versank, war so gewaltig gewesen, dass er auch die Menschen in Singapur aufschreckte. In Saigon und Bangkok hörte man ihn, in Manila und in Australien, und der Raja einer Insel Neuguineas wollte wissen, warum der weiße Mann seine Kanonen abfeuerte. Auch auf Ceylon hörte man ihn, und die Flutwelle, die sich durch das Meer fortpflanzte, forderte sogar noch an der Küste der smaragdenen Insel ein Todesopfer. Selbst weit, weit hinaus in den Indischen Ozean, mehr als zweitausend Meilen entfernt, drang noch der krachende Schall des sich aufbäumenden Berges.
Wohl nur über Ketimbang und der dahinterliegenden Flanke des Rajabasa hatte der Vulkan seinen Glutatem voller Staub, Asche und Gestein ausgestoßen; das große, gewaltige Werk der Zerstörung und Vernichtung hatte er dem Meer überlassen. Riesige Flutwellen waren über die Westküste Javas gekracht und hatten meilenweit ins Landesinnere hinein Tod und Verwüstung gebracht. Die Hafenstadt Anjer mitsamt ihrem Leuchtturm gab es nicht mehr, wie so viele andere
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