Das Herz der Feuerinsel: Roman (German Edition)
sich in der augenscheinlich heilen Welt Batavias zugleich wohlbehütet und fremd fühlten, holte sie hier das Entsetzen dessen, was hinter ihnen lag, doppelt ein. Sie schliefen schlecht, alle drei, und lieber am Tag als in der Nacht, weil auch die brennenden Lampen sie nicht vor den Alpträumen bewahrten, die sie sich herumwälzen ließen und aus denen sie schweißgebadet und manchmal schreiend hochschreckten. Eine Art Lähmung hatte Jacobina und Floortje befallen, die sicher auch von dem Gefühl der Schuld herrührte, nahezu unverletzt diese entsetzliche Katastrophe überstanden zu haben, die so viele andere Menschen das Leben gekostet hatte. Es verlangte sie nach nichts anderem als nach diesem sauberen Zimmer mit seinem weichen Bett, dem Badehaus und gutem Essen. Vielleicht hatte aber auch einfach der Arzt im Hospital recht gehabt, der ihnen Ruhe und Schonung empfohlen hatte, während er sie untersuchte und ihre Wunden versorgte und sie dann wieder entließ; vielleicht waren sie auch einfach nur erschöpft nach den ausgestandenen Schrecken. Schließlich war es erst der fünfte Tag, nachdem der Dampfkahn sie unterhalb des Rajabasa aufgelesen hatte – am 30. August, wie sie erfahren hatten, und es erschien ihnen immer noch unvorstellbar, dass sie tatsächlich zweieinhalb Tage in der Finsternis des Häuschen ausgeharrt haben sollten; beide überlief jedes Mal ein Schaudern, wenn sie daran dachten. Sie würden sicher noch einige Zeit brauchen, um sich vollständig zu erholen und sich dann auch zu überlegen, wie es für sie weitergehen sollte.
»Wir könnten ja nach Amerika gehen«, wisperte Floortje.
»Ja, das könnten wir«, erwiderte Jacobina leise.
Floortje blinzelte ihr zu. »Du bist ja jetzt ein freier Mensch.«
Um Jacobinas Mund zuckte ein Lächeln, und gleichzeitig zogen sich ihre Brauen zusammen. Die Beyerincks waren nach einer schrecklichen Odyssee über die verwüsteten Berghänge zwei Tage nach ihnen vom selben Dampfkahn an der Küste aufgenommen und nach Batavia ins Hospital gebracht worden, Johanna Beyerinck zu Tode erschöpft und die beiden überlebenden Kinder mit schweren Verbrennungen. Fast noch vom Krankenbett aus hatte Herr Beyerinck sich an das Gericht der Stadt Batavia in Sachen Jacobina van der Beek gewandt, und die Antwort war postwendend gekommen: Es würde keine Anklage geben. Teluk Betung war zerstört, auch die Praxis von Doktor Dekker, der als vermisst galt, und damit war alles an Beweisen vernichtet, die es für ihre Schuld oder Unschuld gegeben hätte: Melatis Leichnam, das Quecksilber und das Ergebnis der Obduktion. Die de Jongs lebten aller Wahrscheinlichkeit nach nicht mehr, Jeroens kleines Grab auf dem Friedhof von Teluk Betung hatte das Meer mit sich gerissen, und es war sehr wahrscheinlich, dass auch Endah, Ningsih und Ratu die Katastrophe nicht überlebt hatten.
Tränen stiegen in Jacobinas Augen, als sie an die drei dachte und an Jeroen und Melati. Sie wusste, sie sollte erleichtert sein; dennoch kam ihr die Entscheidung des Gerichts wie ein Pyrrhussieg vor, der einen schalen Nachgeschmack hinterließ. Manchmal hatte sie das Gefühl, dieser böse Verdacht klebte immer noch an ihr, und sie würde sich niemals mehr davon reinwaschen können; auf eine Art konnte sie Floortje nun besser verstehen, die fürchtete, eines Tages hier in Batavia einem früheren Kunden über den Weg zu laufen, oder dass man ihr ihre Vergangenheit irgendwie anmerkte. Floortje behagte deshalb auch die Lage ihres Hotels nicht unbedingt, an der Ecke zwischen Molenvliet Oost und Nordwijk, in der Nähe vom L’Europe und vom Des Indes , genau gegenüber von der Harmonie ; alles Orte, die mit zu vielen Erinnerungen verbunden waren, aber auf die Schnelle hatten sie nichts Bezahlbares gefunden, das ihnen annähernd so gut gefallen hätte wie das große weiße Haus des Hotel Ernst mit dem hübschen Garten, in dem sie die Nachmittagsstunden verbrachten. Nicht einmal die Aussicht auf einen Besuch bei Leroux konnte sie aus dem Hotel locken; diese unbeschwerten Tage waren lange vorbei.
»Oder vielleicht nach Australien?«, schlug Floortje vor.
»Oder dorthin«, stimmte Jacobina zu.
Beide wussten, dass sie wohl einige Zeit noch nicht so weit sein würden, eine Entscheidung für ihr weiteres Leben zu treffen, aber beide wussten auch, dass Jacobinas Guthaben auf der Bank und das Bargeld, das Floortje zwar leicht angesengt, aber noch gültig in ihrem Hemdchen gerettet hatte, nicht ewig reichen würden. Im Grunde
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