Das Herz der Feuerinsel: Roman (German Edition)
Kalkutta, und die ganz danach klangen, als ob es ihr gutging; sie selbst hatte ihr auch schon zweimal geschrieben. Versonnen lächelte sie in sich hinein. Dieses Mal würden sie beide dafür Sorge tragen, dass das Band zwischen ihnen sich nicht noch einmal lockerte. Sorgsam verstaute sie die Karten in ihrer Reisetasche, in der sich bereits die im Stadhuis neu ausgestellten Reisedokumente für sie und Ida befanden; womöglich war es wirklich keine schlechte Idee, den beiden nachzureisen, sobald sie Ida der Obhut ihres Großvaters übergeben hatte.
»Zu deinem Großvater fahren wir, Mäuschen«, fuhr sie fort, während sie Idas Kleidchen zusammenfaltete. »Der freut sich schon sehr auf dich!« Nett hatte der Brief geklungen, den sie von Adriaan Achterkamp erhalten hatte, der offenbar keine Zeit verlieren wollte, denn er hatte auch gleich schon eine Schiffspassage für Jacobina und seine Enkelin gebucht und vierhundert Florin mitgeschickt, damit sie für unterwegs genug Bargeld hätte. Vielleicht gab es in Amsterdam auch gute Ärzte, die Ida wieder zum Sprechen bringen könnten. Dennoch war Jacobina das Herz bleischwer; sie wünschte, sie könnte Ida bei sich behalten. Auch wenn sie nicht wusste, wovon sie dann leben sollten; bislang hatte Jacobina es herausgezögert, sich ernsthafte Gedanken über ihre Zukunft zu machen. Erst würde sie Ida ihrem Großvater übergeben und dann weitersehen. Ihre Familie würde sie natürlich besuchen, und vielleicht könnte sie ihren Vater nach der langen Zeit, die sie sich nicht mehr gesehen hatten, dazu überreden, ihr zumindest einen Teil der Mitgift auszuzahlen; mittlerweile traute sie sich ein solches Gespräch zu.
Ohne Bedauern packte sie ihre und Idas Sachen zusammen, spätestens seit Floortjes Aufbruch vor vier Wochen hielt sie hier nichts mehr. Das Einzige, was ihr leidtat, war, dass sie Jagat nicht gefunden hatte. Mehrmals hatte sie sich von einem sado in die Kampongs bringen lassen, in denen sie Melatis Familie vermutete, und Ida mit ihrem blonden Haar und den blauen Augen hatte dort verzückte Aufmerksamkeit auf sich gezogen und manches Gespräch in Jacobinas schlechtem Malaiisch angebahnt. Doch obwohl Melati und Jagat häufige Namen zu sein schienen, konnte sie den Jungen nicht ausfindig machen; dabei hätte sie ihm gerne etwas Geld zukommen lassen und sich vor allem gewünscht, dass Ida ihren Halbbruder noch einmal sah. Die Zustände in Teilen der Kampongs hatten Jacobina jedoch entsetzt: die halb verfallenen Hütten unter ihren Dächern aus Palmwedeln, der Schmutz und die Armut, die am Rand einer solch reichen Stadt wie Batavia herrschte, wo doch sicher aus jeder Familie eines Kampongs mindestens ein Mann oder eine Frau in der Stadt Arbeit hatte. Der Kontrast zwischen dem Leben, das sie am Koningsplein kennengelernt hatte, und dem Leben, das die Familien der Dienstboten in den Kampongs führten, hatte Jacobina zugesetzt; hier wollte sie ganz gewiss nicht mehr leben. Energisch drückte sie gerade ihr neues Kleid aus dickem Baumwollstoff in den Koffer, als es klopfte, und ihr Kopf ruckte hoch.
»Oh«, machte sie mit großen Augen zu Ida hin. »Wir bekommen Besuch, du und ich! Wer mag das wohl sein?« Ihr Herz setzte einen Schlag aus, als sie die Tür öffnete.
»Guten Tag, Jacobina.«
Er sah noch genauso aus, wie sie ihn vor über einem Jahr kennengelernt und wie sie ihn das letzte Mal gesehen hatte, nach Jeroens Begräbnis im August. Das hellbraune Haar mit den blonden Glanzlichtern, das ein bisschen zerrauft wirkte, ebenso wie der Bart um den schmalen Mund, den sie so oft geküsst hatte, das flächige, freundliche Gesicht sonnengebräunt; wahrscheinlich war es sogar derselbe braune Anzug wie an jenem allerersten Tag, an dem sie sich im Garten der de Jongs begegnet waren. Nur die grüblerische Falte zwischen den Brauen schien sich vertieft zu haben, und seine grauen Augen blickten ein wenig unsicher.
»Tag, Jan.«
»Gut siehst du aus«, sagte er leise. »Und ich bin froh, dich wohlauf zu sehen.«
Jacobina gefiel sich im Spiegel keineswegs; ihre Züge wirkten härter, und obwohl ihr das Essen im Hotel schmeckte, war sie dünner als zuletzt auf Sumatra, sodass sich ihre knochigen Schultern unter dem Kleid abzeichneten und die Ellenbogen spitz hervorstachen. Aber das spielte nun ja auch keine Rolle mehr; es war ihr wichtiger, dass sie gesund war und sich in ihrer Haut durchaus wohl fühlte.
Sie stemmte eine Hand in die schmale Hüfte. »Ja. Wer weiß, vielleicht hat
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