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Das Herz der Feuerinsel: Roman (German Edition)

Das Herz der Feuerinsel: Roman (German Edition)

Titel: Das Herz der Feuerinsel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole C. Vosseler
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Stimme vor, »dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde. Und diese Schätzung war die allererste und geschah zu der Zeit …«
    Sie dachte an ihre eigene Kinderzeit zurück, wenn die Kinderfrau frei hatte und sie, Henrik und später auch Martin nach Christmette, Hering in Sahnesauce mit Pellkartoffeln und der Bescherung länger aufbleiben durften. Ein munteres Feuer hatte im Kamin gebrannt, die Kerzen am Weihnachtsbaum waren entzündet, und die Kinder hatten dicke heiße Schokolade mit Zimt und Koriander getrunken und Weihnachtsgebäck geknabbert, und während ihre Mutter mit einer Handarbeit dasaß, hatte Julius van der Beek die Weihnachtsgeschichte vorgelesen. An Momente wie diese dachte Jacobina gerne zurück; das waren süße Erinnerungen, nicht die sauren, die bitteren ihrer Jugendjahre und des Erwachsenenalters.
    Idas Kopf war schlafwarm und schwer geworden in ihrem Schoß, und auch Jeroen hatte sich gegen ihr Schlüsselbein sinken lassen. Unvermittelt schlang er den Arm um Jacobina und drückte seine Wange an ihre Brust. »Ich hab dich lieb, noni Bina.«
    »Auch lieb«, murmelte Ida schlaftrunken und umklammerte einen Zipfel von Jacobinas Kleid.
    Jacobinas Kehle war wie zugeschnürt, und Tränen schossen ihr in die Augen. Sie legte die Bibel beiseite, strich mit einer Hand Ida über das helle, seidige Haar, mit der anderen Jeroen über sein kurzgeschorenes dunkles. Sie zögerte, drückte ihm dann einen behutsamen Kuss auf den Scheitel und atmete dabei seinen Geruch nach Toffee und Ingwer ein, der etwas in ihr zum Schmelzen brachte.
    »Ich hab euch auch lieb«, wisperte sie.

20
    Buitenzorg, den 28. Januar 1883
    Liebe Jacobina,
    ich kann mich nicht erinnern, jemals in Briefen einen solch angeregten Gedankenaustausch gehabt zu haben wie mit Ihnen. Und ich weiß es sehr zu schätzen, dass Sie mir nun auch endlich ein bisschen etwas über sich erzählen.
    Natürlich kann ich Ihre Haltung zur Ehe sehr gut verstehen, nach dem, was Sie mir über Ihre Erfahrungen seinerzeit in den Niederlanden geschrieben haben, und mit Vincent und Griet haben Sie natürlich auch ein besonderes Beispiel tagtäglich vor Augen.
    Sie sind aber nicht wie Vincent oder wie Griet, ebenso wenig wie ich. Wir sind keine Menschen von solch überschießender Leidenschaft, wir leben nicht in den Extremen. Wir sind von der Vernunft bestimmt, vom Intellekt, wenn auch nicht ohne die Fähigkeit, starke und tiefe Gefühle zu empfinden. Vielleicht eine Spur zu empfindsam, zu idealistisch für das Leben in Ostindien, in dieser Welt ohne Kunst und Kultur, ohne Literatur, ohne Glauben und ohne Ideale.
    Als »totok«, als Neuankömmling in Ostindien, habe ich mich sehr schwer getan mit der hiesigen Lebensart. Ein Mann ist hier nur dann ein Mann, wenn er vor Körperkraft strotzt und jederzeit seinen Mut unter Beweis zu stellen bereit ist, ein Mut, der nach niederländischen Maßstäben schon an Irrsinn grenzt. Zwei Pint Whiskey trinken und danach noch aufrecht stehen können, nicht einmal mit der Wimper zu zucken, wenn sich das Blatt beim Kartenspiel wendet und das halbe Vermögen dahin ist, daran wird ein Mann hier gemessen. Ich war noch nie einer jener Männer, die sich mit deftigen oder haarsträubenden Geschichten gegenseitig zu überbieten suchen und schenkelklopfend Witze erzählen. Meine Interessen gelten nicht den Geschäften und dem Geld, das sich damit verdienen lässt, nicht dem Trinken, dem Spiel und raubeiniger Männergesellschaft. Genauso wenig halte ich Sie, Jacobina, für eine dieser typischen Frauen Ostindiens, deren geistige Welt eine solche Einöde ist, dass sie in Langeweile ertrinken und daher nichts interessanter finden, als ihre Nase in das Leben anderer Leute zu stecken.
    Dessen ungeachtet scheint es mir möglich, als ein Mensch, wie wir beide es sind, hier seinen Platz zu finden. Vielleicht nicht im Mittelpunkt der Gesellschaft, sondern eher am Rande und, so Gott will, in der Gegenwart von Gleichgesinnten. Von Seelenverwandten.
    Ich bin kein Dichter, und so war es Shakespeare, der lange vor mir das in Worte fasste, was ich heute über die Ehe denke. Ein Bund zweier aufrichtiger Gemüter sollte sie sein, der keinen Hindernissen gestattet, sich ihnen in den Weg zu stellen. Erfüllt von einer Liebe, die sich nicht dem Wankelmut ergibt, und keine, die mit der Entfernung schwindet. Eine Liebe, die ein ewiglich festes Zeichen ist, das Stürmen trotzt und nie ins Schwanken gerät. Ein Leitstern für

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