Das Herz der Hoelle
›Teufel‹, einem ›Dämon‹.«
»Haben Sie Thomas später wiedergesehen? Ich meine: nach seiner Festnahme?«
»Ja, gleich nach seiner Freilassung. Seine Eltern wollten, dass ich ihrem Sohn in dieser schwierigen Situation beistehe. Sie selbst waren völlig mit den Nerven am Ende.«
»Hat sich Thomas wieder gefangen?«
»Meiner Meinung nach war er robuster, als man glaubte. Für ihn war das eigentliche Trauma nicht die Anklage, sondern der Tod von Manon. Und dass ihm niemand hatte glauben wollen, als er uns vor der Gefahr gewarnt hatte. Er hat es allen übel genommen und sagte mehrmals, dass er zurückkommen werde, um Manon zu rächen.«
Meine Liste der Personen, die Manons Tod rächen wollten, wurde immer länger: Sylvie Simonis, die vierzehn Jahre lang auf eigene Faust Nachforschungen angestellt hatte. Patrick Cazeviel, der »nicht sein letztes Wort gesprochen hatte«. Und jetzt Thomas Longhini, der geschworen hatte, nach Sartuis zurückzukehren.
»Die Eltern sind von hier fortgezogen«, sagte Azoun zum Schluss. »Ich habe Thomas nicht mehr wiedergesehen. Aber ich glaube, wie gesagt, dass er damit klargekommen ist. Damit genug. Ich habe schon zu viel gesagt.«
Ich hörte das Freizeichen. Ich steckte mein Handy in meine Tasche und erwog den Verdacht, der in dem Gespräch aufgetaucht war: Dass Sylvie Simonis in die Ermordung ihres Kindes verwickelt sein sollte. Nein, die Annahme, dass sie mithilfe eines Privatdetektivs auf eigene Faust Nachforschungen angestellt hatte, erschien mir weitaus plausibler.
Und dass ein und derselbe Täter beide Morde begangen hatte.
Ich ging zurück zu meinem Audi. 15 Uhr, und das Tageslicht wurde schon schwächer. Die Familien räumten die Rasenflächen. Die Frist, die mir meine Chefin gewährt hatte, lief ab, und ich hatte nichts gefunden. Als ich die Autotür öffnete, überlegte ich, ob ich zur Gendarmerie fahren und versuchen sollte, eine Art Waffenstillstand mit Sarrazin zu schließen. Es war die einzige Lösung, um in der Stadt bleiben zu können.
Eine Hand legte sich auf meine Schulter. Ich legte mir ein dem Anlass entsprechendes Lächeln zurecht, da ich damit rechnete, dem stinksauren Gendarm ins Gesicht zu blicken. Aber er war es nicht, sondern einer der Camper der Cité in einem billigen Trainingsanzug.
»Sind Sie der Reporta?«
Ich verstand die Frage nicht.
»Der Reporta: Pater Mariotte hat mir von ’nem Djurnalisten erzählt.«
»Das bin ich«, sagte ich schließlich. »Aber ich habe jetzt nicht viel Zeit.«
Der Mann warf einen Blick über seine Schulter, als oh irgendwo lauschende Ohren lauern könnten.
»Da ist was, was Sie vielleicht interessiert.«
»Ich höre.«
»Meine Frau putzt im Krankenhaus.«
»Na und?«
»Diese Woche ist jemand reingekommen. Ein Mann, den sollten Se mal besuchen …«
»Wer?«
»Jean-Pierre Lamberton.«
Es durchzuckte mich kalt. Der Commandant, der die Ermittlungen im Mordfall Manon Simonis geleitet hatte. Chopard hatte mir gesagt, dass er im Klinikum Jean-Minjoz im Sterben liege.
»Ist er nicht in Besançon?«
»Er wollte nach Sartuis zurück. Nach dem, was meine Frau gehört hat, geht es wohl bald mit ihm zu Ende …«
»Danke.«
Der Mann sagte noch etwas, aber das Zuschlagen der Autotür übertönte seine Worte.
Ich drehte den Zündschlüssel um und fuhr Richtung Stadtzentrum.
KAPITEL 46
Das Krankenhaus von Sartuis glich dem von Besançon. Die gleiche Architektur der fünfziger Jahre, der gleiche graue Beton. Nur alles eine Größenordnung kleiner. Im Innern setzte sich die vertraute Umgebung fort. Korkschilder an den Wänden, kunststoffbeschichtete Empfangstheke, fahle Leuchten. Ich steuerte auf den Empfang zu und fragte nach der Zimmernummer von Lamberton.
»Sind Sie ein Verwandter?«
Ich legte meine Marke auf den Tisch:
»Ein entfernter Verwandter, ja.«
Auf dem Weg zu den Aufzügen warf ich einen Blick nach links, zum Getränkeautomaten. Gleich daneben eine Telefonzelle. Von hier aus hatte der Mörder am Abend des Mordes Sylvie angerufen. Ich versuchte, ihn mir hinter den schmutzigen Scheiben der Zelle vorzustellen. Ich sah nichts. Ich konnte mir den Mörder nicht als ein menschliches Wesen vergegenwärtigen.
Ich verschwand im Treppenhaus. Zweiter Stock. Familien, die im Flur warteten. Ich ging bis zum
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