Das Herz der Hoelle
gegenseitig zu überwachen.«
Er nahm die Aktenmappe und reichte sie dem Präfekten, der neben mir stand. Er bat ihn auf Italienisch, sie zu fotokopieren. Er fügte hinzu, dass dies innerhalb dieses Raums geschehen müsse. »Niemand darf das sehen.« Seine hellen Augen richteten sich wieder auf mich.
»Ich habe gehört, dass Sie gestern Morgen Agostina Gedda besucht haben.«
Ich dachte an die drei hageren Priester, die ich in der Wüste gesehen hatte, und an die klerikale Überwachung, die Agostina erwähnt hatte.
»Was halten Sie davon?«, fragte der Kardinal.
»Sie machte einen ziemlich verstörten Eindruck auf mich.«
»Was halten Sie von ihrer Geschichte – der Wunderheilung und dem anschließenden Mord?«
»Ich bin mir nicht sicher, ob ich das eine oder das andere glauben soll.«
»Die unerklärliche Heilung von Agostina Gedda wurde vom Heiligen Stuhl offiziell anerkannt.«
Ich musste jedes meiner Worte sorgfältig abwägen:
»Ich ziehe ihre körperliche Heilung nicht in Zweifel, Eminenz. Aber ihr Geist ist nicht der einer Person, die durch ein Wunder geheilt wurde …«
»… nicht durch ein Wunder Gottes. Natürlich. Es gibt jedoch noch eine andere Hypothese …«
»Ich habe davon gehört. Aber ich glaube nicht an den Teufel.«
Der Kardinal lächelte, wobei seine schief stehenden Zähne zum Vorschein kamen. Der Fotokopierer hinter uns arbeitete mittlerweile.
»Sie sind ein moderner Christ.«
»Ich glaube, dass Agostina vor allem einen Psychiater braucht.«
»Es wurden Gutachten und Gegengutachten über sie erstellt. Aus Sicht der Sachverständigen ist sie geistig gesund. Erzählen Sie mir von ihrem Verbrechen. Welche Vorbehalte haben Sie?«
»Eminenz, ich arbeite bei der Pariser Mordkommission. Morde sind mein tägliches Brot. Meine Spezialität. Agostina besaß weder die technischen Mittel noch die notwendigen Kenntnisse, um ein so … raffiniertes Verbrechen zu begehen.«
»Was glauben Sie?«
»Ein und derselbe Täter, der die Morde an Salvatore und an Sylvie Simonis begangen hat. Mein Fall im Jura.«
Der Kirchenmann zog die Augenbrauen hoch.
»Weshalb sollte Agostina Gedda einen Mord gestehen, den sie nicht begangen hat?«
»Das will ich herausfinden.«
»Laut der Polizei von Catania kannte sie Details, die nur der Täter wissen kann …«
»Mein Bauchgefühl sagt mir etwas anderes, auch wenn ich es nicht erklären kann, Eminenz, aber ich glaube, dass diese Frau den Täter kennt. Er hat ihr diese Details mitgeteilt, und aus irgendeinem unbekannten Grund deckt sie ihn. Das ist meine Hypothese. Ich habe allerdings nicht den geringsten Beweis.«
Der Kardinal stand auf. Ich schickte mich an, seinem Beispiel zu folgen, aber er befahl mir mit einer Geste, sitzen zu bleiben. Er machte ein paar Schritte um den Schreibtisch und erklärte dann:
»Sie können es bei diesen Ermittlungen weit bringen und uns sehr nützlich sein.« Er streckte den Zeigefinger nach oben und krümmte ihn leicht. »Sie können es weit bringen, unter der Voraussetzung, dass Sie angeleitet werden …«
Der Präfekt war fertig mit den Fotokopien, die er auf den Schreibtisch legte, während er mir das Original zurückgab. Mit einem Kopfnicken bedankte sich van Dieterling bei ihm. Der Präfekt wich geräuschlos zurück. Die türkisblauen Augen richteten sich wieder auf mich.
»Grundsätzlich sind wir der gleichen Meinung, Sie und ich«, murmelte der Kardinal. »Agostina hat Salvatore nicht umgebracht. Wir kennen die Identität des wahren Mörders.«
»Ihr …«
»Warten Sie. Ich muss Ihnen zunächst ein paar Dinge erklären. Und Sie müssen im Gegenzug Ihre … rationalen … Gewissheiten fallenlassen. Sie sind Ihrer Intelligenz nicht würdig. Sie sind Christ, Mathieu. Sie wissen daher, dass die Vernunft nichts mit dem Glauben zu tun hat. Sie ist sogar einer der eingeschworenen Feinde des Glaubens.«
Ich wusste nicht, worauf er hinauswollte, aber eines war sicher: Ich würde gleich Informationen von großer Tragweite erhalten. Van Dieterling stellte sich wieder ans Fenster.
»Sie müssen zuerst einmal die Heilung Agostinas vergessen. Ich spreche von der Gesundung ihres Körpers. Weder Sie noch ich haben die Mittel, um zu beurteilen, ob es eine Wunderheilung war oder nicht. Dagegen können wir uns mit ihrem Geist befassen.
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