Das Herz der Hoelle
einzigen Polen waren, die dank ihrer Gemüsegärten gut speisten.
Ein Arm ging in der Menge hoch. Zamorski, der allein an einem Tisch saß. Ich schlängelte mich durch die Gruppen hindurch und gesellte mich zu ihm. Die anderen schenkten mir keine Beachtung.
»Gut geschlafen?«
Der Pole deutete auf den Stuhl vor sich. Ich nahm Platz und bedauerte, in den Gärten keine Zigarette geraucht zu haben. Jetzt war es zu spät. Ich sah auf das Mittagessen. Der Tisch, der für zwei eingedeckt war, war mit einem Damasttischtuch bezogen, auf dem Kristallgläser und Silberbesteck funkelten. Ich fuhr mir mit der Hand durchs Gesicht.
»Es tut mir leid«, sagte ich verlegen. »Ich wusste nicht, wie spät es ist …«
»Ich bin auch gerade erst aufgestanden. Wir haben die Messe verpasst. Bedien dich.«
Dass er mich duzte, erschien mir an diesem Tag ganz passend. Ich wusste nicht, was ich nehmen sollte. Es war ein slawisches Menü. Marinierte Fische, in dünne Scheiben geschnitten, zu Kegeln geformter Kaviar, Schwarz- und Weißbrot, eine Auswahl eingelegter Gürkchen und eine Fülle roter Früchte: Brombeeren, Blaubeeren, Himbeeren. Ich fragte mich, wo die Patres in dieser Jahreszeit diese Früchte aufgetrieben hatten.
»Wodka? Oder ist es dafür zu früh?«
»Lieber Kaffee.«
Der Nuntius machte eine Handbewegung. Ein Pater trat an den Tisch und bediente mich mit gespenstischer Diskretion.
»Wo sind wir?«
»Im Kloster Scholastyka, in der Altstadt. Es wird von Benediktinerinnen geführt.«
»Benediktinerinnen?«
Zamorski neigte sich nach vorn. Seine schmale Nase blitzte in der Sonne.
»Es ist Zeit für die Sext«, sagte er in vertraulichem Ton. »Während die Schwestern in der Kapelle beten, essen wir zu Mittag.«
»Sie teilen sich das Kloster?«
Er öffnete ein weichgekochtes Ei mit dem Löffel.
»Wir leben zwar unter einem Dach zusammen, gehen aber allen Aktivitäten getrennt nach.«
»Das ist nicht sehr … orthodox.«
Er hob das Eiweiß aus der Schale, die er zwischen den Fingern hielt.
»Eben. Wer würde Kleriker, zumal unserer Sorte, in einem Benediktinerinnen-Kloster suchen?«
»Von was für einer Sorte sind Sie denn?«
»Iss. Was uns nicht umbringt, macht uns stärker, wie man bei uns sagt.«
»Was für eine Sorte?«
Der Nuntius seufzte:
»Du bist wahrlich ein Jansenist. Du kannst das Leben nicht genießen.«
Er leerte sein Ei mit wenigen Löffeln und schob dann seinen Stuhl zurück.
»Nimm deine Tasse. Du kannst später essen.«
Ich zog es vor, meinen Kaffee in einem Zug auszutrinken. Der glühend heiße Kaffee verbrannte mir den Rachen. Während ich noch mit den Schmerzen rang, befand sich Zamorski schon an der Tür.
In der Galerie malten die Sonnenstrahlen und die Schatten der Pfeiler ein Gemälde in Schwarz und Weiß. Die Kälte verstärkte diese Zweifarbigkeit auf geheimnisvolle Weise. Unter einem Portalvorbau bog der Kirchenmann ab und stieg eine Treppe hinunter, die direkt ins Mittelalter zu führen schien.
»Wir haben unsere Büros im Untergeschoss eingerichtet.«
Ein Tunnel öffnete sich, der gleichmäßig beleuchtet war, ohne dass eine Lichtquelle sichtbar war. Die Steinmauern hatten im Lauf der Jahrhunderte Patina angesetzt. Dennoch herrschte eine Atmosphäre moderner Technologie vor. Als Zamorski seinen Zeigefinger auf einen Fingerprintsensor legte, hatte ich keinen Zweifel mehr. Ich hatte einen Blick auf die Außenseite der Festung geworfen, jetzt sollte ich ihr Inneres entdecken.
Eine Eisenwand öffnete sich zu einem großen Raum mit Gewölbedecke, der dem Redaktionssaal einer Zeitung glich. Computerbildschirme flimmerten; Drucker surrten am Fuß der Säulen; Telefone, Fax-Geräte, Fernschreiber läuteten, rasselten und vibrierten allenthalben. Patres in Hemdsärmeln eilten geschäftig hin und her. Ich dachte spontan an eine Filiale des Osservatore romano, des offiziellen Organs des Kirchenstaates, doch hier herrschte eine militärische Atmosphäre höchster Geheimhaltung.
»Der Überwachungssaal!«, erklärte Zamorski.
»Was wird hier überwacht?«
»Unsere Welt. Die katholische Welt wird fortwährend angegriffen. Wir halten die Augen auf und reagieren.«
Der Geistliche bog in den Mittelgang ein. Man spürte die Hitze der Rechner und den Luftstrom der
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