Das Herz der Kriegerin
mag noch in ihnen sein?«
»Bei denjenigen, die zu Staub zerfallen sind, muss die Lebensquelle wirklich tot sein. Aber die anderen … Schwer zu sagen. Die Kraft, sich zu erheben und uns zu sagen, ob sie noch am Leben sind, haben sie sicher nicht mehr. Aber bei den beiden dahinten würde ich nicht ausschließen, dass sie uns sogar noch hören, jedenfalls aus der Ferne.«
Ein eisiger Schauder überlief Jareds Rücken. Obwohl der Tod sie beinahe täglich umgab, hatte er sich seit seiner Umwandlung keine Gedanken mehr darüber gemacht. Doch nun sah er, was aus ihnen allen werden würde, wenn der Tod sie doch ereilte.
»Meinst du wirklich, dass noch Elixier in diesen Resten ist?« Sauls Stimme zerbrach das Schweigen, das sie einen Moment lang wie eine Mauer umgeben hatte.
»Sicher. Erst wenn die Lebensquelle abstirbt, zerfällt auch der Rest.«
Vorsichtig näherte er sich dem ersten Katafalk. Die Lamie darauf gehörte zu jenen, deren Züge man noch gut erkennen konnte. Ihre Haut war dunkel, offenbar war sie Nubierin. Ihre Züge waren auch jetzt, wo sie dem Reich der Schatten entgegendämmerte, immer noch schön.
»Wir müssen sie vernichten«, hörte er Malik hinter sich sagen. Inzwischen waren seine Freunde ausgeschwärmt, um sich die anderen Lamien anzuschauen. »Wenn Malkuth ihr Elixier nicht bekommen soll …«
»Das werden wir wohl«, entgegnete Jared, während er noch immer den Blick nicht von der Frau vor sich abwenden konnte. Welche Wirkung musste sie zu Lebzeiten auf die Menschen gehabt haben?
»Was meinst du, wie alt sind sie?«, fragte Saul, worauf sich Jared umsah. Sein Freund stand vor einem der Skelette, dessen Knochen bleich im fahlen Licht schimmerten.
»Schwer zu sagen. Ich habe keine Erfahrung damit, wie lange eine Lamie mit intakter Quelle braucht, um zu sterben.«
»Wahrscheinlich hängt es auch davon ab, wie sie in den Tod gehen«, rief Ashar, der neben einer Lamie stand, die zu Staub zerfallen war. Mit spitzen Fingern zog er einen Gegenstand aus dem Staubhaufen, der wie eine Nadel aussah. »Ich wette, diese Lamie hat ihre Quelle mit der Nadel angestochen.«
Jared ging zu ihm, nahm ihm die Nadel aus der Hand und betrachtete sie. Ein wenig ähnelte sie den Nadeln, die Sayd als Waffen bei sich trug. Wenn er sich richtig erinnerte, hatte er sie von Ashala als Geschenk erhalten.
»Ich frage mich, warum die anderen diesen Ausweg nicht genutzt haben«, murmelte er, während er den silbernen Kopf betrachtete, der zu einer feinen Skeletthand geformt war – ähnlich wie es bei dem Dolch der Fall war, den Sayd immer benutzt hatte, um Ashala Elixier abzunehmen.
»Vielleicht steckt die Nadel bei den anderen noch im Körper«, entgegnete Malik, während er sich von einer weiteren, noch sehr gut erhaltenen Lamie abwandte. »Und wenn nicht, sollten wir ein wenig nachhelfen.«
»Und was, wenn die besser erhaltenen noch leben? Wenn sie noch etwas spüren?«, warf Ashar ein, der zum nächsten Katafalk ging.
»Indem sie sich hierherbegeben haben, haben sie sich für den Tod entschieden«, hielt Malik dagegen. »Wir nehmen ihnen nur die Qual ab.« Zweifelnd blickte er zu Jared, der sich auf einmal selbst fragte, wie viel Leben in den noch Erhaltenen war. Sie waren diejenigen, die Malkuth am dringendsten brauchte, doch durften sie sie einfach töten?
»Ich bin auch der Meinung, dass wir ihrem Leben ein Ende setzen sollten«, stellte sich Saul auf Maliks Seite. »Sonst haben wir es womöglich bald mit einer Übermacht von Malkuths Kriegern zu tun. Das wäre eine Katastrophe für die Menschheit. Ihr erinnert doch noch, was wir getan haben, um ihm zu dienen. Und wir waren nur wenige. Stellt euch den Terror vor, mit dem Malkuth die Welt überziehen kann, wenn wir ihm die Möglichkeit geben, Unseresgleichen zu erschaffen.«
»Saul hat recht«, gab Jared schließlich nach. »Wir sollten jene, die am besten erhalten sind, als Erste vernichten, dann sind die Skelette dran.«
Damit legte er die Fackel auf den Boden und näherte sich dem Katafalk mit der Nubierin. Noch einmal blickte er in ihr vom Tod gezeichnetes, aber dennoch erkennbares Gesicht. Dann schloss er die Augen, beruhigte seine zitternde Hand und stach zu.
Weder gab die Lamie einen Laut von sich noch bäumte sie sich, wie Jared insgeheim befürchtet hatte, auf. Doch der Effekt setzte sogleich ein. Der Körper verfiel in Windeseile, innerhalb von Sekunden war nur noch Staub übrig.
»Na sieh mal einer an«, murmelte Jared, während er die Nadel
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