Das Herz der Nacht
Geräusch verursachte. Der Mann hielt inne, stöhnte, richtete sich auf und griff sich mit der Linken in den Rücken, der weiter oben durch einen schiefen Buckel entstellt wurde.
András’ Neugier war geweckt. Er trat in den Lichtschein und machte sich bemerkbar.
»Eine kalte, dunkle Zeit haben Sie sich für Ihre Arbeit ausgesucht«, sagte er.
Der Mann, der die Schaufel gerade wieder ergriffen hatte, ließ sie erneut sinken und wandte sich der Stimme zu. Falls es ihn erschreckte, zu dieser Zeit und an diesem ungewöhnlichen Ort angesprochen zu werden, so ließ er es sich nicht anmerken.
»Man muss es nehmen, wie es kommt. Der Tod beschränkt sich nicht auf die warmen, hellen Tage. Er kommt, wie es ihm beliebt, und nimmt, wen er sich ausgesucht hat. Wie der Streit um die Seele endet, kann ich nicht sagen. Ob der Teufel oder die Engel Gottes den Sieg davontragen. Ich weiß nur, dass die Körper, die in den Fluten der Donau landen, hierher zu mir getragen werden und dass es meine Aufgabe ist, ihnen die letzte Ehre zu erweisen und ihnen ein Grab auf dem Friedhof der Namenlosen als letzte Ruhestätte zu geben.«
Er machte eine ausladende Handbewegung. »Sie alle hat die Donau hergeführt. Ich und mein Vater vor mir haben sie begraben. Denn niemand interessiert sich für die Toten hier. Selten kommt jemand an diesen Platz, um zu suchen und zu fragen. Nur von wenigen weiß ich, wer sie einmal waren, woher sie kamen und welches Schicksal sie in die Donau trieb.«
»Sie meinen, es sind Menschen, die den Tod aus freien Stücken wählten und in den Fluss sprangen?«
Der alte Mann wiegte den Kopf hin und her. »Wie soll ich das wissen? Ich sehe es den Toten nicht an, ob sie unabsichtlich gefallen sind, gestoßen wurden oder freiwillig sprangen. Manche haben auch Verletzungen, die ihnen vorher oder erst nach ihrem Tod auf ihrer Reise im Fluss zugefügt worden sein können. Ich kenne mich da nicht aus. Meine Aufgabe ist es nur, die Körper, die die Donau hier an Land treibt, anständig zu begraben. Darum lassen Sie mich jetzt weiterarbeiten. Ich bin ein alter Mann, und die Arbeit ist schwer. Dies hier bringt mir kein Brot auf den Tisch. Ich bin Fischer und muss fertig werden, dass ich bei Anbruch des Tages mit meinem Boot hinausfahren kann.«
»Aber warum begraben Sie die Leichen nachts um diese Zeit?«
»Es ist von jeher der Brauch, die Toten nach Einbruch der Dunkelheit zu ihrem Grab zu bringen. Außerdem soll es noch kälter werden. Wenn der Boden gefriert, schaffe ich es nicht mehr, die Grube auszuheben. Sollen die Toten dann warten, bis es wieder taut?«
»Kann ich Ihnen ein wenig zur Hand gehen?«, fragte András höflich.
Nun betrachtete der Alte den ungewöhnlichen Besucher voller Misstrauen. »Verzeihen Sie, nicht dass ich etwas gegen Hilfe einzuwenden habe, aber Sie sehen mir aus wie ein Mann von Rang und Namen und mit Geld, der sich nicht jeden Tag fragen muss, ob etwas auf den Tisch kommt. Warum um alles in der Welt wollen Sie mir helfen, ein Grab auszuheben? Und was tun Sie hier draußen, noch dazu um diese Zeit?«
»Sagen wir, ich leide unter Schlaflosigkeit und unter Wissbegierde. Und ich bin stärker, als Sie es mir zutrauen. Daher schlage ich Ihnen noch einmal vor, lassen Sie uns die Plätze tauschen. Ich hebe das Grab aus, Sie ruhen sich aus und stillen meine Neugierde.«
Vielleicht war der Mann zu erschöpft, um das Angebot abzulehnen oder sich auch nur weiter zu wundern. Schwerfällig kletterte er aus der Grube und ließ sich am Rand des Erdhügels auf den Boden sinken. András dagegen sprang behände in das Loch und griff nach dem hölzernen Stiel. Ein paar Minuten war nur das Kratzen der Schaufel zu hören, die in einer unglaublichen Geschwindigkeit Erde aus der Grube beförderte. Der Alte saß stumm mit vor Erstaunen offenem Mund da. András hielt inne.
»Sagen Sie mir eines. Hatten andere Tote, die Sie aus der Donau geborgen haben, ähnliche Verletzungen am Hals, wie die Frau, deren Grab wir gerade schaufeln?« Der Alte sah ihn verwirrt an.
»Ach, Sie haben sich die Leiche noch gar nicht angesehen? Warum nicht? Und warum haben Sie sie im Wasser gelassen und schaufeln zuerst ihr Grab, noch ehe sie ans Ufer gezogen wurde?«
»Wovon reden Sie?«, stammelte der Totengräber. »Das Grab ist nicht für eine Frau. Der Tote liegt dort drin in der kleinen Halle. Naja, Halle kann man es nicht nennen. Nur ein Kämmerchen mit einem Tisch, auf den ich die Toten lege, bis ihr Grab gerichtet ist. Es ist
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