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Das Herz der Nacht

Das Herz der Nacht

Titel: Das Herz der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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schon der zweite in dieser Woche. Am Montag habe ich eine Frau gefunden. Sie war schon eine Weile im Wasser, und die Fische hatten sie bös zugerichtet. Überall was das Fleisch herausgerissen. Und nun liegt der Mann dort drin. Er sieht noch besser aus. Lange kann er nicht im Wasser getrieben sein.«
    »Gehe ich dann recht in der Annahme, dass Sie von der Toten, die ich dort vorn unter den Weiden entdeckt habe, noch gar nichts wissen?«
    Der Totengräber starrte ihn an und erhob sich dann mühsam. »Noch eine Tote? Und Sie treiben ganz bestimmt keinen bösen Scherz mit mir?«
    »Nein, nichts läge mir ferner. Ich habe dort drüben ein junges Mädchen aus der Flut gezogen.«
    Mit einem Seufzer ergriff der Totengräber seine Laterne. »Dann will ich sie mir ansehen. Zeigen Sie mir das arme Kind. Mein Name ist übrigens Josef Schlögl. Und wer sind Sie?«
    »András Petru ist mein Name.« Er beließ es dabei und führte den Alten zu der Stelle, an der er die Tote zurückgelassen hatte. Da lag sie und starrte aus leblosen Augen zu ihnen auf. Josef hob die Laterne.
    »So jung«, seufzte er. »Gehört sie zu den Verzweifelten, die ein Mann in Schwierigkeiten gebracht hat und die dann keinen anderen Ausweg mehr sah? Wir werden es vermutlich nie erfahren.« Er richtete seinen Blick auf András. »Wollen Sie mir helfen, sie hinüberzutragen, oder soll ich den Handkarren holen?«
    »Ich helfe Ihnen gern. Doch sagen Sie, was halten Sie von diesen Wunden? Glauben Sie, diese sind erst nach ihrem Tod entstanden?«
    Der Totengräber beleuchtete den zerfetzten Hals. »Ich weiß es nicht. Ich bin kein Wundarzt. Aber wenn sie zuvor entstanden sind, dann wurde das Kind ermordet. Das soll sich die Polizei ansehen. Ich muss eh jeden Toten melden, den der Fluss mir bringt. Ich geh jedes Mal zum Bezirksdirektor für den Vierten, der für die Weißgerber, die Landstraße und den Rennweg zuständig ist, und er schickt mir dann einen Beamten mit. Wenn kein Verbrechen bekannt ist oder keine vermisste Person gemeldet wurde, deren Beschreibung dem Gefundenen gleicht, kann ich die Toten begraben, und die Welt vergisst sie endgültig. Nur ich gehe ab und zu an den Reihen der Gräber entlang und versuche mich an jeden einzelnen zu erinnern.«
    Gemeinsam trugen sie die Tote zu dem Steinhäuschen und legten sie neben der Leiche, die dort bereits auf ihr Begräbnis wartete, auf den Tisch. András warf einen raschen Blick auf den anderen Toten. Er wies keine größeren Verletzungen auf, doch am Hals fand er die beiden verräterischen Flecken, die auf zwei kleine Wunden hinwiesen. Nicht auffällig. Nur zu sehen, wenn man nach ihnen suchte.
    András half Josef, den Toten in die Grube zu legen, die nun tief genug war, und schaufelte dann Erde über ihn.
    »Wo führt Sie Ihr Weg nun hin?«, erkundigte sich der Totengräber. »Wenn es in Ihrer Richtung liegt und Sie mir noch einen Gefallen erweisen wollen, dann würde ich Sie bitten, die Meldung des toten Mädchens auf der Polizeiwache zu übernehmen. Es ist für mich ein anstrengender Fußmarsch. Meine Beine sind nicht mehr so jung und verweigern mehr und mehr ihre Dienste.« Er seufzte schwer und schüttelte den Kopf, als könne er es nicht fassen.
    András verteilte die letzten Schaufeln Erde auf dem Grabhügel. Er überlegte. Natürlich kam es nicht infrage, zur Polizeidienststelle zu gehen. Man musste die unheilvollen Dinge, die bereits ins Rollen geraten waren, nicht auch noch beschleunigen! Dennoch sagte er:
    »Sie können Ihren alten Beinen den Marsch ersparen. Doch nun muss ich Sie verlassen. Der Tag naht, und Sie müssen sicher das Boot klarmachen, dass Ihnen genug Fische ins Netz gehen.«
    Josef nickte und nahm herzlich Abschied von dem Fremden, über dessen seltsame Angewohnheiten er sich weiter keine Gedanken zu machen schien.
    András ging ein Stück am Ufer entlang, bis er den Schein der Laterne nicht mehr ausmachen konnte. Abschätzend richtete er seinen Blick zum Himmel. Wie viel Zeit blieb ihm noch? Genug, wenn er sich mit dem Rückweg beeilte. Die Aue war nur licht besiedelt und an diesem kalten Wintermorgen sicher noch kein Mensch vor Anbruch der Dämmerung unterwegs. Und selbst wenn. Ein flüchtiger Schatten, der vorbei ist, ehe man ihn recht bemerkt. Ein großer, grauer Hund? Nichts, worüber man sich weiter Gedanken machen müsste.
    Die Wandlung dauerte nur wenige Augenblicke. András war inzwischen zum Meister geworden. Einem jungen Vampir dagegen war es noch nicht gegeben, seine

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