Das Herz des Bösen: Roman (German Edition)
zum Fenster, saugte die schale Luft ein und starrte auf den altmodischen, schwarzen Eisenzaun, der die Vorgärten der kleinen Häuser auf der anderen Straßenseite begrenzte, »im Job läuft es super. Ich bin befördert worden und habe einen neuen Titel bekommen. Offiziell bin ich jetzt Account Supervisor, das heißt, ich kriege eine Gehaltserhöhung. Aber nicht viel. Du weißt ja, dass man in der Werbung nicht viel verdient, weil die Branche so ›glamourös‹ ist, dass man sich schon freuen soll, überhaupt dort arbeiten zu dürfen. Trotzdem, jede Kleinigkeit hilft. Ich weiß«, sagte sie, bevor ihr Vater sie unterbrechen konnte, »Cameron und Andrew haben ein neues Auto.«
Ihr Vater lächelte. Zum ersten Mal, seit sie gekommen war.
»Ich übrigens auch. Der kleine silberne Flitzer auf der Straße unten. Siehst du?« Sie zeigte auf den Wagen. Ihr Vater machte keine Anstalten, sich aus seinem Sessel zu erheben. »Er gehört mir nicht direkt. Ich hab ihn nur geleast. Evan kennt einen Autohändler. Er hat mir einen wirklich tollen Deal gemacht. Jedenfalls«, fuhr Jennifer fort, als ihr Vater nicht reagierte, »bin ich bloß vorbeigekommen, um dir zu erzählen, dass ich ein paar Tage wegfahre. In die Adirondack Mountains mit Evan und seiner Tochter. Dad, hast du gehört, was ich gesagt habe?«
Ihr Vater starrte sie mit leerem Blick an.
»Ich habe gesagt, ich fahre mit Evan und seiner Tochter in die Adirondack Mountains.«
»Die Adirondack Mountains, natürlich.«
»Evan ist mein Verlobter. Erinnerst du dich daran, dass ich dir von ihm erzählt habe?«
»Natürlich. Evan. Dein Verlobter. Cameron hat einen reizenden Diamantring«, fügte er hinzu und blickte demonstrativ auf den nackten Ringfinger an Jennifers linker Hand.
»Ja, hat sie.« Dazu einen reizenden Ehering, einen reizenden Ehemann, zwei reizende Kinder und ein noch reizenderes Kindermädchen, das sich um sie kümmerte, weil Cameron, wie alle wussten, ja so beschäftigt war. »Ich bin mir sicher, Evan schenkt mir einen Ring, wenn er offiziell geschieden ist.«
»Geschieden?«
»Er ist verheiratet, Dad. Das habe ich dir doch erzählt.«
»Hat er eine Frau?«
»Nicht mehr. Er hat sie verlassen.«
»Deinetwegen?«
Nun war es an Jennifer zu schweigen.
Ihr Vater wirkte mit einem Mal wütend. Er schüttelte den Kopf und tippte mit den Füßen auf den zerkratzten Holzboden, ein sicheres Zeichen dafür, dass er sich aufregte. »Das verheißt nichts Gutes«, sagte er und fing an, sich auf seinem Stuhl vor und zurück zu wiegen.
»Kein Grund, dich so aufzuregen, Dad. Bald ist Evans Scheidung durch, und dann kauft er mir einen Ring. Und der wird noch größer und schöner sein als Camerons. Versprochen.«
»Wenn er seine Frau betrogen hat, wird er auch dich betrügen«, sagte ihr Vater und nickte zur Bekräftigung heftig. »Ich bin ein Mann. Ich weiß es.«
Aber was wusste ihr Vater überhaupt noch, fragte sich Jennifer jetzt. Seine früh einsetzende Alzheimer-Erkrankung hatte ihn seines Gedächtnisses beraubt, und in den dieser Tage zunehmend selteneren klaren Momenten waren seine Gedanken immer auf Cameron konzentriert.
Ihre Schwester. Die Erstgeborene.
Ganz offensichtlich sein Liebling.
Obwohl sie ihn nur selten besuchte, sodass Jennifer seit dem Tod ihrer Mutter vor zwei Jahren die Hauptlast der Pflege tragen musste.
»Ich weiß nicht, ob ich einfach alles stehen und liegen lassen und nach Queens fahren kann, nur weil du entschieden hast, heimlich ein romantisches Wochenende mit deinem Geliebten zu verbringen«, hatte Cameron neulich abends am Telefon gesagt.
»Es ist wohl kaum ein heimliches romantisches Wochenende. Evans Tochter kommt mit.«
»Was auch immer.«
»Es sind nur drei Tage.«
»Genau. Drei Tage kommt Dad auch alleine zurecht.«
»Wenn er nicht vergisst zu essen.«
»Er vergisst schon nicht zu essen.«
»Alles andere vergisst er auch.«
»Du machst echt ein Drama aus der Sache«, hatte Cameron erklärt, und Jennifer hatte sich vorgestellt, wie sie dabei eine Strähne ihres frisch geglätteten blonden Haars hinter ihr rechtes Ohr strich.
»Und du bist so was von egoistisch«, hatte Jennifer gekontert.
»Ich bin nicht diejenige, die hier egoistisch ist.«
»Was? Willst du behaupten, ich wäre egoistisch?«
»Ich weiß nicht. Wer von uns beiden ist verheiratet und hat zwei kleine Kinder, um die sie sich kümmern muss? Und wer hat einen tollen Job in der City und fährt einen neuen Sportwagen?«
»Er ist zwei Jahre alt,
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