Das Herz des Bösen: Roman (German Edition)
um zu erklären, dass er noch länger aufgehalten und erst im Laufe des Abends loskommen würde.
Und wie um alles in der Welt hatte er es überhaupt geschafft, Val dazu zu überreden, die lange Fahrt in die Adirondacks zu machen? Was hatte er gesagt, damit sie alles stehen und liegen ließ, um nicht nur seine Tochter, sondern auch seine neue Verlobte zu dem Hotel am Shadow Creek zu chauffieren, wo sie auf ihn warten sollte? Ja, wahrscheinlich stimmte es, dass Val die Strecke schon hundertmal gefahren war und den Weg auch mit verbundenen Augen finden würde. Und es stimmte auch, dass Jennifers Wagen nicht groß genug für sie und Brianne und ihrer beider Gepäck war. Und obwohl Evan es leugnete, hielt er Jennifer zweifelsohne nicht für eine besonders gute Autofahrerin und traute ihr nicht zu, die steilen, gewundenen Straßen in unbekannter Umgebung zu bewältigen. Trotzdem …
Na und? Na und? Na und?
Das verheißt nichts Gutes , dachte sie und hörte die Stimme ihres Vaters.
»Das verheißt nichts Gutes«, hatte er ihr am Morgen erklärt, als sie ihn in seiner Wohnung in Queens besucht hatte, um ihm zu erzählen, dass sie für ein verlängertes Wochenende mit ihrem Verlobten und seiner Tochter wegfahren würde.
Sie hätte ihrem Vater nie erzählen dürfen, dass Evan offiziell noch verheiratet war, aber eigentlich hatte sie gar nicht darüber nachgedacht. Und eine Antwort hatte sie ganz bestimmt nicht erwartet. Sie hatten in der stickigen Hitze seines heruntergekommenen Apartments gesessen, stundenlang, so war es ihr vorgekommen, obwohl es wahrscheinlich höchstens eine Viertelstunde war. Ihr Vater mochte weder Lärm noch Licht, sodass seine Zweizimmerwohnung immer dunkel und die Lüftung an dem kleinen Fenster zur Straße trotz der erdrückenden Hitze abgeschaltet war. Jennifer hatte darauf bestanden, ein Fenster zu öffnen, was jedoch ohne spürbare Wirkung geblieben war. Es gab keinen Luftzug, keine Linderung. Ihrem Vater war das anscheinend egal. Wenn nicht, ließ er sich nichts anmerken. Er hatte seit ihrer Ankunft überhaupt kaum mehr als ein Dutzend Sätze gesagt.
»Cameron und Andrew haben ein neues Auto«, hatte er berichtet und ihr, die Lippen fest zusammengepresst, eine trockene Wange zu einem Kuss hingehalten.
»Das habe ich gehört. Hast du es schon gesehen?«
Ihr Vater kehrte auf den schäbigen, rostfarbenen Lehnsessel in der Ecke des Wohnzimmers zurück, gegenüber dem kleinen Fernseher, auf dem immer Fox News lief. Sein weißes Hemd war mit Essensresten bekleckert, genau wie seine braune Krawatte. Ihr Vater hatte stets darauf beharrt, eine Krawatte zu tragen. Als Kind hatte Jennifer sich manchmal gefragt, ob er sie auch im Bett anbehielt. Selbst nachdem man ihn von seinem Posten als Manager einer Firma für Lebensmittelkonserven in den Ruhestand gedrängt hatte, band er weiterhin täglich eine Krawatte um. Anfangs wirkte es würdevoll, aber mittlerweile sah er ein wenig erbärmlich aus.
Jennifer bemerkte, dass der Reißverschluss seiner schweren Wollhose halb offen stand, und wollte nicht über den Ursprung der dunklen Flecken links und rechts davon nachdenken.
»Cameron und Andrew haben ein neues Auto«, sagte ihr Vater noch einmal, nachdem mehrere Minuten verstrichen waren.
»Ja, das habe ich gehört. Ist es schön?«
Die Frage blieb unbeantwortet, weil die Aufmerksamkeit ihres Vaters von dem Fernsehbild in Beschlag genommen wurde: Umringt von einem Trupp Polizisten mit ernsten Gesichtern wurden zwei Leichensäcke aus einer entlegenen Waldhütte getragen. »Im Fall des brutalen Doppelmords in den Berkshires sind weitere Einzelheiten bekannt geworden«, berichtete der Nachrichtensprecher mit hörbarer Begeisterung.
Jennifer drehte den Fernseher leiser. Ihr Vater starrte ins Leere und sagte nichts.
»Cameron und Andrew haben ein neues Auto«, sagte er ein paar Minuten später.
»Schön für sie. Ich nehme nicht an, dass sie mal vorbeigekommen sind und dich auf einen Ausflug in ihrem neuen Wagen eingeladen haben, oder?«
»Cameron ist sehr beschäftigt.«
»Ach ja? Womit denn?« Musste sie sich die Haare glätten oder die Zähne weißen lassen? Ihre Herbstgarderobe aussuchen, dachte Jennifer, ohne es laut zu sagen.
»Cameron ist sehr beschäftigt.«
Jennifer nickte. »Hast du schon gefrühstückt, Dad? Möchtest du Kaffee oder einen Toast?«
Ihr Vater schüttelte den Kopf. »Cameron und Andrew haben ein neues Auto«, sagte er kurz darauf.
»Nun, da du fragst«, erwiderte sie, ging
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