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Das Herz des Bösen: Roman (German Edition)

Das Herz des Bösen: Roman (German Edition)

Titel: Das Herz des Bösen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joy Fielding
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unterstützte und ermutigte. Ihre »Einzigartigkeit«, wie er gern sagte.
    Ihr Lächeln wurde breiter, und ihre Mundwinkel spannten sich bis zu den Ohren. In seinem Alter war man eigentlich kein Junge mehr, dachte sie, obwohl sie nicht genau wusste, wie alt er tatsächlich war. Irgendwo zwischen zwanzig und dreißig. Was konkrete Einzelheiten betraf, blieb er gern vage. »Welche Rolle spielt das?«, fragte er. »Das Alter ist bloß eine Zahl. Es ist unwichtig.« Immerhin hatte er sich verkniffen zu sagen, »man ist so alt, wie man sich fühlt«, wofür sie ihm dankbar war. Das hatte ihre Großmutter immer gesagt und sie damit zur Raserei getrieben.
    Bezüglich seines Namens war er ähnlich unkonkret geblieben. »Nenn mich Ismael«, hatte er einmal gesagt und mit ihr über die Anspielung auf Moby Dick gelacht, ein Buch, das sie in der Highschool beide gehasst hatten. Zu anderen Anlässen nannte er sich Jona, Moses oder Elija. Er liebte biblische Namen. Einmal hatte er ihr sogar erklärt, sie solle ihn Jesus nennen, aber der Name hatte sich beim Sex als eher abtörnend erwiesen, sodass er ihn rasch wieder aufgegeben hatte. In letzter Zeit hatte er profanere Rufnamen wie Brad, Steve oder Michael gewählt. »Ich weigere mich, mich von den Grenzen beschränken zu lassen, die andere mir auferlegen. Ich bin, wer immer ich sein will«, sagte er und ermutigte sie, es ihm gleichzutun.
    Und so erschuf sie eines Tages Catherine und in den Tagen danach Veronica, Clementine, Joanne.
    Mit großem Abstand ihre Favoritin war Nikki. Nikki mit zwei K.
    Nikki hatte den meisten Spaß.
    »Nennen Sie mich Nikki«, hatte sie der lächerlichen Alten in der Hütte am Ufer des Shadow Creek erklärt. Die dumme Kuh, dachte sie. Und egoistisch. Hatte sie nicht mal ihren Fön benutzen lassen wollen, obwohl er direkt unter dem Waschbecken im Bad lag. Sie hatte ihn nach dem Duschen entdeckt. Der Gedanke ließ ihr Lächeln in ein Stirnrunzeln umschlagen. Es hatte eine gute halbe Stunde gedauert, das Blut der blöden Frau abzuwaschen. Alles war vollgespritzt – ihre Kleider, ihr Haar, sogar ihre Zähne.
    »Hast du es runtergeschluckt?«, hatte Kenny gefragt. Er nannte sich jetzt schon seit mehreren Wochen Kenny. Der Name bringe ihm Glück, meinte er, obwohl er nicht sagen konnte, warum.
    »Nein«, entschied sie sich, nicht zu lügen, obwohl sie ihn nur ungern enttäuschte.
    Aber wenn er enttäuscht war, ließ er sich nichts anmerken. »Beim nächsten Mal«, sagte er achselzuckend. »Es ist keine große Sache.«
    Sie hatten sich aus den Resten im Kühlschrank ein Abendessen gemacht, sich zwei Flaschen Wein genehmigt und dann mehrmals in dem zu weichen Bett ihrer Opfer Sex miteinander gehabt und gelauscht, wie der nach wie vor sintflutartige Regen auf das Dach über ihren Köpfen geprasselt war.
    »Das ist ein ganz schöner Sturm, was«, sagte Kenny.
    »Gut, dass wir im Trockenen sind«, stimmte sie zu.
    »Sicher und warm wie zwei Mücken im Schwarm.«
    »Ich kann nicht glauben, dass sie keinen Fernseher haben.«
    »Geizhälse.«
    »Du hättest ihre Gesichter sehen sollen, als ich ihnen erzählt habe, dass du das Kabel durchgeschnitten hast.« Sie lachte. »Als ihnen klar wurde, dass irgendwas nicht stimmt, dass sie sterben würden … Das war das Beste.«
    »Tut mir leid, dass ich es verpasst habe.«
    »Beim nächsten Mal bist du dabei«, sagte sie. »Damit du nichts verpasst.«
    »Du denkst daran, was das Beste für mich ist, was?«
    »Ständig«, sagte sie.
    Und es stimmte. Seit sie sich kennengelernt hatten, hatte sie an kaum etwas anderes gedacht.
    »Ehrlich«, hatte ihre Mutter bemerkt. »Ich weiß nicht, was in letzter Zeit in dich gefahren ist. Es ist, als wärst du auf einem anderen Planeten.«
    Dabei sah er nicht mal besonders gut aus, dachte sie. Eher das, was ihre Großmutter immer »interessant« genannt hatte. Seine Gesichtszüge waren ein wenig grob – breite Nase, volle Lippen und Augen von einem unscheinbaren Braun. Trotzdem hatte er etwas, das Aufmerksamkeit verlangte. Vielleicht war es seine Haltung, seine unverschämt lässige Art, die Schultern hängen zu lassen und seine schlanken Hüften leicht nach vorne zu schieben, die Daumen in die Taschen seiner zu engen Jeans gehakt, sein gleichzeitig leerer und wissender Blick.
    Die Art, wie er ihr in die Augen sah und dann daran vorbei, als ob er direkt durch sie hindurch bis in die entlegensten Winkel ihrer Seele blicken und sich mühelos in der dunkelsten aller Nischen einnisten

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