Das Herz des Bösen: Roman (German Edition)
einheimischen Fauna dekoriert. Auf einem runden Glastisch vor dem Panoramafenster mit Blick auf den Shadow Creek stand ein Eiskübel mit einer Flasche Champagner. Val fragte sich, ob das Evans Idee oder eine Aufmerksamkeit des Hotels war.
Ich könnte jedenfalls ein Gläschen vertragen, dachte sie mit der Stimme ihrer Mutter. Sie folgte Brianne vorbei an dem in beigefarbenem Marmor gehaltenen Bad in das golden und elfenbeinfarben dekorierte Schlafzimmer, wo das Blumenmuster der Wohnzimmersessel in den Vorhängen und Tagesdecken auf den beiden Doppelbetten wieder aufgenommen wurde. Über dem Kopfbrett beider Betten spannte sich ein goldener Himmel, der wiederum zu dem goldenen Polster des Stuhls vor dem mit edlen Schnitzereien verzierten Mahagonischreibtisch am Fenster passte.
»Mein Gott, ist das ein Le-Corbusier-Stuhl?«, fragte Melissa und verließ zur Überprüfung für einen Moment Vals Seite.
»Und?«, fragte Jennifer. »Findet das Zimmer Ihre Zustimmung?«
»Es ist wunderschön«, sagte Val.
»Und wer schläft mit wem?«, fragte Brianne ohne hörbare Ironie und ließ sich auf das Bett am Fenster fallen.
Einen Moment lang war es still.
»Das lassen wir vielleicht deinen Vater entscheiden«, antwortete Jennifer nach einer scheinbar endlos langen Pause.
Das tut er sowieso immer, dachte Val, behielt den Gedanken jedoch für sich, weil Melissa ihr einen warnenden Blick zuwarf. »Darf ich mal Ihr Telefon benutzen?«, fragte sie stattdessen. »Ich sollte wirklich meine Mutter anrufen.«
»Jetzt?«, fragte Brianne. »Wozu?«
»Um zu hören, ob es ihr gut geht.«
»Ob sie noch nüchtern ist, meinst du.«
Val ging zu dem Telefon neben dem anderen Bett, studierte die Anweisungen für einen Anruf ins Festnetz und wählte die Nummer ihrer Mutter. »Wir lassen Sie besser allein«, hörte sie Jennifer sagen, als das Telefon ihrer Mutter einmal klingelte, zwei-, drei-, viermal …
»Erster im Bad«, sagte James, als die anderen das Schlafzimmer verließen.
Beim achten Klingeln wurde das Telefon abgenommen, doch es meldete sich niemand. »Mom? Bist du da?«
»Allison?«, fragte ihre Mutter.
»Nein, Mom, hier ist Valerie.«
»Valerie, mein Schatz. Du klingst jeden Tag mehr wie deine Schwester. Wie geht es dir?«
Val fragte sich, wann ihre Mutter zuletzt mit Allison gesprochen hatte, die vor zwei Jahren nach Florida gezogen war, wo sie ohne großen Erfolg versucht hatte, die Beziehung zu ihrem Vater wiederzubeleben. »Mir geht es gut. Und dir?«
»Bestens, Schätzchen. Du erwischst mich allerdings in einem unpassenden Moment. Ich wollte gerade ein Bad nehmen.«
Val biss sich auf die Unterlippe. Ihre Mutter wollte immer gerade ein Bad nehmen oder war eben aus der Wanne gestiegen. Das bedeutete, sie war entweder kurz vor der Bewusstlosigkeit oder sie wollte sich gerade einen frischen Drink eingießen. »Ich wollte dir bloß sagen, dass ich am Wochenende in Manhattan bin. Ich hatte eigentlich vor, dich schon früher anzurufen, aber dann … ist etwas dazwischengekommen.« Sie wartete ein paar lange Sekunden, dass ihre Mutter fragte, was. »Wie dem auch sei, ich habe ein Zimmer im Plaza«, fuhr sie fort, als die Frage ausblieb. »Falls du mich erreichen musst.«
Auch keine erkennbare Neugier, warum sie das Wochenende im Plaza verbrachte. Nur Schweigen.
»James und Melissa schenken es mir zu meinem vierzigsten Geburtstag«, führte Val weiter aus. »Wenn du möchtest …«
Wieder eine lange Pause. »Ich hatte vor, dich anzurufen …«
»Mein Geburtstag ist ja erst am Sonntag«, sagte Val rasch versöhnlich. Durchaus möglich, dass ihre Mutter auch so daran gedacht hätte.
»Am Sonntag. Ja, natürlich. Das weiß ich. Du hast doch nicht gedacht, dass ich den vierzigsten Geburtstag meiner Tochter vergesse, oder?«
»Ich hatte gehofft, dass du daran denkst.«
»Dann ruf ich dich also am Sonntag an.«
»Ja. Vielleicht möchtest du am Abend mit uns essen gehen?«
»Nun, das ließe sich vielleicht sogar machen«, willigte ihre Mutter einen Tick zu schnell ein. »Ich muss jetzt wirklich Schluss machen, Valerie. Mein Badewasser wird kalt.«
Val nickte in den Hörer.
»Wenn du mit deiner Schwester sprichst, musst du ihr unbedingt liebe Grüße ausrichten.«
»Das mach ich.« Val bezweifelte, dass Allison an ihren Geburtstag denken oder sie, selbst wenn, anrufen würde. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie zum letzten Mal derart profane Höflichkeiten ausgetauscht hatten. Und mit ihrem Vater hatte sie seit
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