Das Herz des Bösen: Roman (German Edition)
gekleidet. Sie reckte ihren Hals nach der Verlobten ihres Vaters. Jennifer hatte sich doch bestimmt nicht darauf eingelassen, diesen Irrsinn mitzumachen. »Wo ist Jennifer?«
»Sie ist in den Fitness-Raum gegangen«, sagte James. »Du hättest sie sehen sollen in ihrem pinken Outfit von Lululemon.«
»Sie hat gesagt, wir sollten einfach tun, was wir wollen, und uns ihretwegen keine Gedanken machen.«
»Klingt gut.« Brianne ließ sich wieder aufs Bett sinken und zog sich die Decke über den Kopf.
Val zerrte sie sofort wieder weg.
»Mein Gott, hast du Dad auch immer so rumkommandiert?«, fragte Brianne. »Kein Wunder …«
»Okay, das reicht«, sagte Val, die genau ahnte, worauf dieser kleine Satz hinauslaufen sollte. »Um eins klarzustellen: Dein Vater ist nicht gegangen, weil ich ihn rumkommandiert habe.« War da was dran ? »Und auch nicht, weil ich schnarche.« War da was dran ? »Er ist gegangen, weil er ein Idiot ist.«
Alle hielten den Atem an, am vernehmlichsten Val selber. Hatte sie Evan gerade einen Idioten genannt? Das hatte sie noch nie getan; sie hatte sich nicht einmal den Luxus erlaubt, es zu denken.
»Gut so, meine Freundin«, sagte James, und Melissa nickte eifrig.
»Dieses Wochenende war nicht meine Idee«, fuhr sie leiser fort. »Ich versuche nur, das Beste aus einer peinlichen Situation zu machen.«
»Und wie?«, provozierte Brianne, die ihre Mutter nicht so billig davonkommen lassen wollte. »Indem du dich betrinkst, bis du kotzen musst?«
»Keine Sternstunde von mir, das gebe ich zu. Ich entschuldige mich von Herzen und verspreche, dass es nie wieder vorkommen wird. Und jetzt hör auf, es mir so schwer zu machen, und beweg deinen Hintern aus dem Bett. Wir treffen uns in zwanzig Minuten im Speisesaal. Hast du mich gehört?«
Brianne starrte ihre Mutter an, die Lider schwer von Schlaf und Empörung. »Ich bin sicher, das ganze Hotel hat dich gehört.«
»Gut. Dann freuen wir uns alle, dich in zwanzig Minuten im Speisesaal zu sehen.« Damit wirbelte Val auf dem Absatz herum und marschierte so forsch aus dem Zimmer, dass Melissa und James sich sputen mussten, um Schritt zu halten.
»Gut gemacht«, hörte Brianne Melissa sagen, als die Zimmertür geöffnet und wieder geschlossen wurde.
»Bravo«, sekundierte James.
»Leck mich«, flüsterte Brianne, ließ den Kopf wieder aufs Kissen sinken und zog sich das Laken über die Ohren.
»Glaubst du, sie kommt?«, fragte James, als sie aus dem Fahrstuhl in die Hauptlobby traten.
»Wahrscheinlich nicht«, räumte Val ein.
»Und was passiert dann?«
»Woher zum Teufel soll ich das wissen?«
Als sie auf dem Weg zum Speiseraum an der Rezeption vorbeikamen, erkannte Val die junge Frau, die sich am Abend zuvor beim Essen mit ihrem Mann gestritten hatte. Sie trug Jeansshorts und ein zu weites graues Sweatshirt. Val schätzte sie auf Ende zwanzig und stellte fest, dass sie heute Morgen nicht glücklicher aussah als gestern Abend. David hatte sich offenkundig nicht entschuldigt.
»Ich sag Ihnen, ihm ist etwas zugestoßen«, hörte Val sie zu der Frau am Empfang sagen. »Er hat gegen zwei Uhr nachts das Zimmer verlassen und ist nicht zurückgekommen.«
»Wenn Sie einen Moment Geduld haben, hole ich den Manager, Mrs Gowan.«
»Sieht aus, als ob das Arschloch früher angeln gegangen ist als ursprünglich geplant«, murmelte Val ihren Freunden zu und dirigierte sie in den Speiseraum.
»Verzeihung«, rief eine Stimme hinter ihnen.
Val drehte sich um und sah die junge Mrs Gowan auf sie zueilen. Je näher sie kam, desto verquollener wirkte ihr Gesicht, die Augen waren gerötet, was zu den münzgroßen roten Flecken passte, die ihre Haut verunzierten wie zu große Sommersprossen. Ihr rotbraunes Haar war zu einem Pferdeschwanz gebunden und an den Seiten mit zwei Klammern befestigt, offensichtlich eine eher bequeme als modische Frisur.
»Verzeihung«, sagte sie noch einmal. »Tut mir leid, dass ich Sie behellige, aber …«
»Ja?«, fragte Val.
»Mein Name ist Alicia Gowan. Ich glaube, ich habe gestern beim Abendessen mit meinem Mann am Tisch neben Ihrem gesessen.«
Val gab vor zu überlegen. »Oh ja. Ich glaube, das ist richtig.«
»Haben Sie ihn gesehen? Meinen Mann? Seitdem, meine ich.«
»Nein, ich fürchte nicht.« Val sah James und Melissa an, damit die ihre Aussage bestätigten.
»Nein«, tat Melissa ihr den Gefallen.
»Gibt es ein Problem?«, fragte James.
»Wir haben uns gestritten.« Frische Tränen schimmerten in Alicia Gowans Augen
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