Das Herz Des Daemons
Starbucks von Ashland Falls vorbei. Verwirrt sah ich Julien an.
»Das ist nicht der Weg nach Hause.«
»Nein. Ich fahr dich ins Ruthvens.«
Unwillkürlich packte ich den Türgriff fester. »Und warum?«
»Weil du dort sicher bist.«
»Sicherer als bei dir kann ich nirgends sein.«
»Dawn, ich ...«
Ich ließ ihn nicht ausreden, als mir unvermittelt klar wurde, was er wirklich vorhatte. »Du willst mich dort absetzen und gleich wieder verschwinden?«
»Ich muss erst ein Stück runterkommen ...«
»Halt an!«
So wie Julien auf die Bremse trat, rechnete er damit, dass ich in der nächsten Sekunde wieder versuchte aus dem fahrenden Auto zu springen. Ich schaffte es gerade noch, mich mit der Hand am Armaturenbrett abzustützen.
»Wir müssen reden!«
»Jetzt? - Ich denke nicht, dass das ...«
»Es reicht!« Ich wandte mich ihm zu.
Sein Blick wurde übergangslos sehmal. »Was?«
»Dass du Entscheidungen für mich trittst.«
»Dawn ...«
»Nein, Julien, nein! Ich weiß, dass du nichts anderes willst, als mich beschützen. Aber nicht so. Nicht mehr.«
»Dawn ...« War da tatsächlich ein drohender Unterton in seiner Stimme? Ich ballte die Fäuste.
»Nein! Ich bin es leid! Mein ganzes Leben hat Samuel über mich bestimmt. Jetzt versuchen es die Fürsten und ganz nebenbei auch noch du. Ich will nicht mehr! Es reicht! Mein Leben gehört mir! Niemandem sonst.«
»Dawn, ich werde nicht erlauben ...«
»Erlauben?« Ich starrte ihn eine halbe Sekunde an.
»Zum Teufel mit dir, Julien DuCranier. Ich bin nicht deine Gefangene! Du hat mir gar nichts zu erlauben«, fauchte ich dann, drehte mich um und langte gleichzeitig nach dem Türgriff. Er hatte mich schneller am Arm gepackt, als ich den Hebel zurückziehen konnte, hielt mich fest, hart und schmerzhaft. Doch er sagte nichts. Nur meine eigenen Atemzüge waren zu hören. Warum, verdammt noch mal, mussten sie beinah wie Schluchzer klingen?
»Lass mich los!«, forderte ich, ohne ihn anzusehen. Er sagte noch immer nichts. Er ließ mich aber auch nicht los.
»Hörst du nicht, DuCranier? Lass mich los! Du tust mir weh!«
Sofort lockerte sein Griff sich, gab mich aber noch immer nicht frei.
»Meine Gefangene?«, fragte er endlich leise.
Ich starrte weiter unverwandt in die Dunkelheit. Seine Hand fiel herab. Mit einem Ruck stieß ich die Tür auf, stieg aus, knallte sie wieder zu und marschierte die Straße hinunter. Doch schon nach wenigen Schritten blieb ich wieder stehen und schlang die Arme um mich. Hinter mir blubberte der Motor der Vette im Leerlauf. Ihre Scheinwerfer malten zwei helle Streifen neben mich auf die Fahrbahn. Als Juliens Schatten im ersten erschien, versteifte ich mich. Im Licht des zweiten Scheinwerfers blieb er stehen. Keiner von uns sprach. Aus Sekunden wurden Minuten.
»Ich weiß, wie sich das anfühlt und ... das hab ich nie gewollt«, sagte er irgendwann in das Schweigen hinein. Stumm blickte ich zur Seite.
»Aber ... der ... der Gedanke, dass dir etwas zustoßen könnte, weil ... ich nicht da war ... das ...« Er trat aus dem Lichtschein heraus, näher zu mir, aber noch immer nicht nah genug, um mich zu berühren. »Ich will nicht, dass du dich wie eine Gefangene fühlst, am allerwenigsten wie meine Gefangene. Doch ich werde tun, was ich meinem Erachten nach tun muss, um dich zu beschützen.« Etwas in seiner Stimme hatte sich verändert. Da war noch immer Bedauern, aber jetzt schwang in ihr auch wieder unüberhörbar die kalte Entschlossenheit mit, die zu jenem anderen Teil von Juliens Wesen gehörte.
Ich grub mir die Zähne in die Unterlippe, bis ich Blut schmeckte. Warum musste mein Leben so sein, wie es war? Warum konnte ich nicht wie Susan oder Beth sein?
Warum musste meine Mutter sich auch in einen Lamia verlieben? Warum musste ich mich in einen Lamia verlieben? Warum konnten wir nicht ganz gewöhnliche Menschen sein?
»Dawn?«
Ich zog die Schultern hoch. »Vielleicht redest du das nächste Mal mit mir, Julien. Sag mir in Zukunft einfach, was du vorhast.« Abrupt drehte ich mich zu ihm um. Er war näher, als ich gedacht hatte. »Triff die Entscheidungen nicht für mich, sondern mit mir.«
»Das wird nichts daran ändern, dass ich dich auch in Zukunft nicht um Erlaubnis für etwas bitten werde, von dem ich denke, dass es erforderlich ist.«
»Nein, das wird es nicht. Aber ...« Ja, was »aber«?
Mit einem Kopfschütteln holte ich einmal tief Atem und stieß ihn wieder aus. »Tu es einfach. Sprich mit mir.«
Juliens Antwort
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