Das Herz Des Daemons
verändert hatte, wie ich gleich darauf feststellte, als ich kurz den Strahl der Taschenlampe durch ihn gleiten ließ. Der verbeulte Metallcontainer stand wie gehabt in seiner Ecke, die Häuserfassaden waren unverändert grau und trist, selbst das Dröhnen der Bässe aus dem Ruthvens war damals als leises Wummern bis hierher zu hören. Offenbar würden wir das schmale Kippfenster unterhalb der wenig vertrauenerweckenden Feuerleiter als Einstieg benutzen.
»Den Film kenn ich«, raunte ich Julien zu. Ich konnte mir das Grinsen nur schwer verkneifen. Das hier war beinah wie ein Déjà-vu. »Soll ich eine Mülltonne suchen?« Dort, wo beim letzten Mal einige altmodische Modelle dieser Gattung gestanden hatten, waren jetzt vergammelte Kartons gestapelt. Julien bedachte mich mit einem bösen Blick, ehe er sich dem Fenster zuwandte. Als wir damals das Bohemien durch eben dieses Fenster gemeinsam verlassen hatten, hatte ich vergessen, ihn vor der Mülltonne zu warnen, mit deren Hilfe ich hineingekommen war. Bei seinem »Kopf voraus«-Abstieg
hatte
er
sie
dann
auf
etwas
schmerzhafte Weise »gefunden«. Offenbar trug er mir das ein wenig nach.
Gerade fuhr er mit der Hand am unteren Teil des Rahmens entlang, drückte in regelmäßigen Abstanden dagegen, dann ein kurzer harter Schlag, etwas brach mit einem Knacken und er konnte das Fenster öffnen.
»Nach ihnen, ma demoiselle.« Er deutete eine spöttische Verbeugung an, stemmte sich mit dem Rücken gegen die Mauer darunter, verschränkte die Finger ineinander und bot mir seine Hände als Tritt, um mir hinauf-und hindurchzuhelfen.
»Und wenn ich nicht mehr durchpasse?« Plötzlich hatte ich wieder jenes mulmige Gefühl.
»Das wüsste ich.«
»Und wenn doch nicht?«
»Dann gehe ich ab morgen jeden Tag mit dir vor der Schule joggen. - Los jetzt!«
Einen Moment zögerte ich noch, dann legte ich die dunkle Taschenlampe und den Geigenkasten neben ihn auf eine möglichst saubere Stelle des gepflasterten Hofes, trat in seine Hände, stützte mich auf seiner Schulter ab, griff gleichzeitig nach dem Fensterrahmen und stieß mich ab. Julien verpasste mir in derselben Sekunde noch ein wenig zusätzlichen Schwung. Ich war schon halb durch das Fenster hindurch, als mir plötzlich einfiel, dass das altmodische Sofa, das beim letzten Mal meinen Fall gedämpft hatte, weg sein könnte. Doch da war es bereits zu spät. Zu meinem Glück stand es noch immer an seinem Platz.
Julien ließ mir kaum Zeit, meine Glieder zu entwirren und wieder auf die Beine zu kommen, da reichte er mir schon Taschenlampe und Geigenkasten herein. Ich war auf das Sofa geklettert, um ihm beides abzunehmen. Als ich ihm jetzt meine Hand hinstreckte, um ihm meinerseits hereinzuhelfen, schüttelte er nur den Kopf und bedeutete mir, Platz zu machen. Gehorsam trat ich beiseite. Ich hörte ihn draußen einen Schritt Anlauf nehmen, dann tauchte er auch schon in dem Fensterchen auf, stemmte sich gekonnt hindurch, rollte sich in einer fließenden Bewegung auf dieser Seite über das Sofa ab und stand beinah im gleichen Moment bereits wieder auf seinen Füßen. Ich blies mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Diese Kombination aus Lamia-Eleganz und artistischem Können konnte einen schon manchmal neidisch werden lassen.
Den Strahl wohlweislich auf den Boden gerichtet knipste ich die Taschenlampe an. Auch hier hatte sich nichts verändert: Kisten und alte, ausgemusterte Möbel standen nach wie vor herum. Sogar der Spiegel war noch da.
Julien hatte mir den Geigenkasten aus der Hand genommen und sich auf den hindernisreichen Weg zur Tür gemacht. Ich folgte ihm - und hätte beinah gelacht, als ich mich dabei ertappte, wie ich versuchte möglichst leise zu sein. Nicht dass es sehr wahrscheinlich war, dass sich außer uns noch jemand hier herumtrieb, der uns vielleicht hätte hören können.
Der Gang, der aus dem hinteren Teil des Bohemien zur Bühne und dem Zuschauerraum führte, wirkte verglichen mit dem vollgestopften kleinen Raum, in den wir eingestiegen waren, regelrecht kahl. Bei meinem letzten Besuch hatten hier gerahmte Plakate gehangen - eines davon war damals zu Bruch gegangen, als Julien mich mit seiner Hand an meiner Kehle von den Beinen geholt und an die Mauer gedrückt hatte. Jetzt waren die Wände kahl.
Im Durchgang zum Zuschauerraum blieb ich stehen und ließ das Licht der Taschenlampe durch den
halbrunden Saal wandern. Plastikfolie. Überall. Die Tische und Stühle, die das Dekorationsteam unter Mr
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