Das Herz Des Daemons
war ein schlichtes Nicken.
Das Schweigen kam zurück. Ich schlang die Arme fester um mich, schaute zu Julien. Er sah mich unverwandt an.
»Verrätst du mir, wo du hinwolltest, um »ein Stück runterzukommen?«
»Ins Bohemien .«
Wenn er ins Bohemien ging, dann nur aus einem Grund.. »Du wolltest dort spielen?«
»Ja. Ich habe die Geige schon geholt, bevor ich zu Susan gefahren bin.«
»Willst du immer noch dorthin?«
»J a.«
»Nimm mich mit.«
Er zögerte.
»Du weißt, wie gern ich dich spielen höre. Und du hast
selbst
gesagt,
dass
das
Bohemien
eine
hervorragende Akustik hat. Warum willst du mich irgendwo abliefern, wenn du mich ebenso gut mitnehmen kannst?«
»Weil ich auf nicht ganz legalem Weg ins Innere des Bohemien gelangen werde?«
»Das bin ich beim letzten Mal auch nicht.« Damals hatte ich ihn zum ersten Mal spielen gehört. Und er hatte mich um ein Haar ungebracht. Fröstelnd rieb ich mir die Arme, während ich auf ihn zutrat. Allmählich wurde mir kalt. »Lass mich mitkommen, Julien.« Ich konnte sehen, dass seine Brauen sich zusammengezogen hatten. Scheinbar nachdenklich sah er auf mich herab. Ich war schon fast bereit ein »Bitte!« hinterherzuschicken, als er unvermittelt die Hand hob und mir eine Strähne hinters Ohr strich, ehe er langsam nickte.
»Also gut. Eine Privatvorführung nur für dich. - Und jetzt steig ein, bevor du mir erfrierst.«
Im Innern der Corvette war es angenehm warm. Ich warf einen schnellen Blick zwischen den Vordersitzen hindurch nach hinten. Wie hatte ich den Geigenkasten vorhin nur übersehen können? Als ich mich wieder nach vorne wandte, schloss Julien gerade seine Tür. Einen Moment sah er mich noch einmal auf diese nachdenkliche Art an, dann fuhr er los - nur um zwei Straßen weiter vor einem kleinen Supermarkt zu halten, der 24 Stunden geöffnet hatte. Wortlos stieg er aus und verschwand im Inneren.
Binnen Kurzem war er zurück. Eine Taschenlampe und passende Batterien landeten in meinem Schoß, nachdem er wieder eingestiegen war.
»Wenn sie dort wirklich am Renovieren sind, ist es vielleicht besser, du siehst, wo du hintrittst«, meinte er auf meinen fragenden Blick hin und ließ denMotor der Corvette zu schnurrendem Leben erwachen. Meine Lichtquelle sollte ich mir wohl selbst zusammenbauen. Wenig später bogen wir Arm in Arm in die Merillstreet ab, die kleine Seitenstraße, in der sich das Bohemien befand; meine Taschenlampe und den Geigenkasten unauffällig zwischen uns. Julien hatte die Vette ein Stück weiter in einer anderen Nebenstraße des Riverdrive abgestellt. Nachdem wir dem alten Varieté-Theater einen illegalen Besuch abstatten würden, wollte er nicht unnötig auffallen.
Meine Schritte schienen zwischen den hohen
Klinkerbauten mit den altmodischen Fenstereinfassungen aus Sandstein und den vorstehenden Einganstreppen erschreckend laut widerzuhallen. Hier kam ich mir stets vor, als sei ich unvermittelt in die Zeit von Al Capone geraten
oder
zumindest
in
die
Kulisse
eines
Gangsterfilmes, der in den Zwanzigerjahren des vergangenen
Jahrhunderts
spielte.
Vor
etlichen
Jahrzehnten war das Bohemien bei einem Brand beinah zerstört worden. Danach war es zwar wieder aufgebaut worden, aber nur noch einmal für kurze Zeit geöffnet gewesen. Inzwischen gehörte es Cynthias Vater, für den es offenbar nicht mehr als ein Abschreibungsobjekt war - hätte er es sonst einfach leer stehen lassen?
Julien war vollkommen gelassen. Mir hingegen klopfte das Herz bis zum Hals. Zu meiner Verwunderung gingen wir an der breiten Eingangstreppe unter dem von gedrehten Sandsteinsäulen getragenen Vordach vorbei. Vielleicht hatte ich unbewusst meine Schritte verlangsamt in der Annahme, Julien würde einfach die Vordertür für uns öffnen, denn sein Arm schloss sich ein klein wenig fester um meine Schultern, während er mich bestimmt weiterschob und gleichzeitig kaum merklich denKopf schüttelte.
»Der einfachste Weg ist manchmal nicht der klügste und meistens auch nicht der sicherste.« Er klang, als wiederhole er etwas, das er selbst einmal auswendig gelernt hatte . Der Blick, den er mir dabei scheinbar zuwarf, galt in Wirklichkeit gar nicht mir, sondern ging über mich hinweg und hinter uns. Gleich darauf schlenderten wir noch immer täuschend harmlos in den schmalen Durchgang zwischen dem Bohemien und dessen Nachbarhaus. Von meinem letzten Besuch wusste
ich,
dass
diese
Sackgasse
in
einem
schmuddeligen Hinterhof endete - in dem sich nichts
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