Das Herz des Highlanders: Roman (German Edition)
noch nicht alt genug war, um genug eigene Wärme zu erzeugen. Schließlich wog es erst etwas über viereinhalb Kilo. Sie selbst zog ebenfalls mehrere Schichten Kleider an, schnallte sich das Baby vor die Brust und machte den Reißverschluss ihrer Jacke bis oben zu, so dass sie ihn warm halten konnte. Schließlich packte sie alles, was sie mitnehmen wollte, in eine Tasche.
Verdammt. Sie traute ihm wirklich. Sie konnte nicht erklären warum, aber Grace wusste einfach, dass es eine feste Tatsache war und kein frommer Wunsch, wenn Greylen MacKeage sagte, er werde sie und das Baby noch heute Abend von diesem Berg in Sicherheit bringen.
Der gefrierende Regen hatte vor zwanzig Minuten erneut eingesetzt, und das Tageslicht war erloschen. Nur ein eigenartiges blaues Licht war geblieben, ein dauerhaftes Schimmern, das wie in wirbelnden Wellen von dem Flugzeugwrack auszugehen schien.
Grace konnte sich nicht exakt vorstellen, wie dieses Spektakel zustande kam, aber sie vermutete, dass durch den Absturz
die Energien des Eisregens so gestört worden waren, dass nun leuchtende Ionen in der schweren Luft hingen. Mutter Natur vollführte halt manchmal seltsame Phänomene, und Grace war klar, dass Menschen es nie fertig bringen konnten, alle Geheimnisse der Natur zu erklären.
Und so wie das Licht, das Grace momentan umgab, war ihr auch dieser Gedanke willkommen. Als Wissenschaftlerin hatte sie nicht das Bedürfnis, die Natur zu erobern oder ihre Gesetze zu beherrschen. Sie wollte sie nur gern verstehen.
Dieses blaue Licht, das innerhalb weniger Minuten nach Greys Aufbruch stärker geworden war, schien ihr nur ein weiteres Beispiel dafür zu sein, warum sie Pine Creek mit sechzehn verlassen hatte, um in der Wissenschaft Karriere zu machen. So viele Geheimnisse, so viel zu entdecken, all die endlosen Fragen, die darauf warteten, beantwortet zu werden. Wissenschaft war die große Leidenschaft ihres Lebens. Und sobald sie in ihrer normalen Umgebung war, würde sie herausfinden, was es mit diesem blauen Licht auf sich hatte. Und warum sie sich darin so wohl fühlte und es ihr die Sicherheit gab, alles werde gut gehen.
Grace saß in nachdenklichem Schweigen im Wrack, hielt das schlafende Baby an ihre Brust und horchte auf Grey. Doch die einzigen Geräusche in der Umgebung waren die unheimlichen Ächzer des Waldes, mit denen sich die Bäume über ihre wachsende Eisschicht beklagten.
Grace spähte durch das Dunkel der Nacht zu der Stelle, an der Marks Leiche liegen musste. Er lag da draußen in der Kälte und wurde zusehends von Eis bedeckt. Sie war versucht gewesen, hinüberzugehen und ihn mit irgendetwas zuzudecken, hatte aber dann doch nicht den Mut dazu aufgebracht.
Was ihr sehr Leid tat. Sie war ein Feigling. Sie konnte nicht einmal einem Toten die Würde geben, die er verdient hatte. Sie konnte sich von ihrer Schwester nicht endgültig trennen,
und sie konnte ihr Versprechen nicht halten, das Baby Michael MacBain zu geben. Obwohl sie große Angst davor hatte, die Verantwortung für das Baby zu übernehmen, hatte sie noch größere Angst davor, es zu verlieren. Es war alles, was ihr von ihrer Schwester geblieben war, und das Einzige in Graces Leben, das wirklich existierte. Ihr Traum von einer Reise in den Weltraum war eben nicht mehr als nur das – ein Traum.
Das Baby war Wirklichkeit. Wenn sie es großzog, machte sie das selbst zu einem Jemand, nicht nur einem Etwas, wie ein Gehirn, das in einem unerheblichen Körper herumspazierte. Männer graulten sich vor ihrer Intelligenz – oder benutzten sie. Sie sahen nie etwas anderes, nicht ihr Lächeln, ihr Herz, ihre Hoffnungen und Träume.
Sie sahen sie nie.
Grace drückte das Baby noch enger an ihren Körper. Dieser Junge würde sie sehen. Sie würde seine Tante sein, und das war genau das, was ihr niemand, nicht einmal sein Vater, nehmen konnte.
Sie hatte weiterhin die Absicht, ihr Versprechen gegenüber Mary zu halten und Michael MacBain zu erzählen, dass er einen Sohn hatte. Sie war sich nur nicht sicher, wann sie das tun würde. Morgen oder in zehn Tagen oder vielleicht in zehn Jahren würde sie die beiden einander vorstellen. Das hing von Michael MacBain ab und dem Eindruck, den sie von ihm hatte, wenn sie ihm begegnete. Und von ihrem eher zweifelhaften Mut.
Grace fuhr zusammen, als hätte man auf sie geschossen, als Grey plötzlich vor ihr auftauchte. Sie hatte ihn wegen des Knisterns des Waldes nicht kommen hören.
»Grace?«, sagte er und blinzelte in die Reste
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